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Selbstzahler. Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 4

Spiegel online berichtete dieser Tage über den Doppelsuizid eines tauben, eineiigen Zwillingspaares in Belgien, das zu erblinden drohte. Der Bericht klang, als wäre das Ereignis ein Fortschritt (»… weltweit das erste Mal …«). Wahrscheinlich erwartet Spiegel online als nächstes den Dreifachsuizid taubblinder Drillinge. Oder den Vierfachsuizid taubblinder Vierlinge. Taubblindheit wird zu einem scheinbar objektiv ausreichenden Grund für den Anspruch auf Sterbehilfe. Zwischenüberschrift: »›Sie waren wirklich erschöpft.‹« Wären die beiden Taubblinden taubstumm gewesen, hätten sie das »Recht« auf taubstummen Nachwuchs gehabt.

Daneben würde in den Augen einer solchen Öffentlichkeit Taubstummheit einem Anspruch auf Sterbehilfe nicht im Weg stehen. Sie wird ja in Deutschland, Holland, Belgien auch ohne irgendeine Erkrankung geleistet. Sterbehilfe hat diese Eigendynamik, denn der Anspruch ist nur etwas wert, insofern er realisiert wird. Das kennen wir bereits. Das Recht auf Sozialhilfe ist auch etwas anderes als das Recht auf Eigentum. Das Recht auf Eigentum überlässt die Akkumulation dem Schicksal, dem Fleiß oder der Habgier. Das Recht auf Sozialhilfe ist dagegen einklagbar. Noch deutlicher zeigt sich die Entwicklung beim »Recht auf Gesundheit«, das es gar nicht geben kann – oder nur als ein Recht auf bestimmte Behandlungen. Wer nicht klagt, ist selbst schuld.

Rechte müssen sich im massendemokratischen Wohlfahrtsstaat vor allem auszahlen. Das ging bisher »nur« zu Lasten Dritter, welche die vom Staat großzügig gewährten Ansprüche finanzierten. Jetzt aber soll der Rechteinhaber selbst bezahlen, indem er seinen Kopf hinhält. Leistung und Bezahlung sind eins. Der Anspruch auf Sterbehilfe kostet den Lebenswillen und das Leben. Das ist zwar deutlich mehr, als die Sache einbringt; dafür muss man den schlechten Deal aber nicht bereuen. Das ist wirklich einmal etwas Neues. Ohne den Preis des Lebens wäre die Sterbehilfe ein alter Hut. Denn dass der Staat uns aus der einen Tasche mehr herausnimmt, als er uns zuvor in die andere hineingesteckt hat, kennen wir schon.

Wollen sollen. Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 2

Wer immer noch nicht glaubt, dass aus dem Recht auf Sterbehilfe die Aufforderung erwächst, sich töten zu lassen, besuche das Jugendportal des Deutschen Bundestages (http://www.mitmischen.de/diskutieren/nachrichten/januar-13/suizidhilfe/index.jsp). Der scheinbar neutrale Text, der unter anderem vom »Recht auf einen würdigen Tod« handelt, wird dort mit dem Foto einer jungen Frau illustriert, die auf einer Autobahnbrücke steht. Ging es nicht eben noch um Todkranke? Ging es nicht eben noch um Suizidprävention?

Im großen Unterschied zum »Recht« auf Sterbehilfe kann das unspezifische Recht auf Selbstbestimmung vor allem eins: Ruhen. Sei es, weil die Arbeit ruft oder weil einen die Grippe ins Bett wirft. Das Recht auf Sterbehilfe kann nicht ruhen. Die Möglichkeit, sich töten zu lassen, geht von vornherein mit der Aufforderung einher, nicht »sinnlos« zu leiden. Das »Recht auf einen würdigen Tod« macht den »unwürdigen« Tod lächerlich unnötig. Um das Recht auf Sterbehilfe nicht in Anspruch zu nehmen, muss man leiden wollen. Wer will das schon? Und wer wird darauf bestehen, es zu dürfen?

Liberalität in Sachen Suizid ist keine. Wo man die Leute vom Selbstmord nicht mehr abhält, ist das Fehlen der Abhaltung von der Werbung für den Selbstmord nicht zu unterscheiden. Das Sterbehilfe-Angebot ist ein Giftbecher, der ausgetrunken werden soll. Dass wir ihn austrinken »wollen sollen«, hat mit vielem zu tun, aber nicht mit »Selbstbestimmung«. Präziser ist die Verwaltungssprache, die das »Wollen sollen« seit langem als »regulierte Selbstregulierung« kennt.