Der Preis der Quote

Nachtrag zum nachfolgenden Nachtrag

Die Quote hat eine schwere, meist übersehene Nebenwirkung. Diejenigen, die von ihr profitieren, werden nur auf den ersten Blick »gleichgestellt«. Auf den zweiten Blick vertieft und verfestigt die Quote die jeweilige Gruppenzugehörigkeit, denn allein auf sie gründet sich ja der mittels Quote realisierte Anspruch. Die Quote fördert oberflächlich die Gleichheit, in Wahrheit die Ungleichheit. Und übrigens auch die Ungerechtigkeit, denn es ist ungerecht, Ungleiches gleich zu behandeln.

Es geht ums Ganze

130308 shutterstock WAAGE klein2Nachtrag zu meinem Beitrag »Über die Verwechslung von Innen und Außen« vom 1. März 2013

Im Nachgang zu meinem Beitrag über Homosexualität und Erpressbarkeit schließe ich mich gern Josef Bordat an, der hier und noch grundsätzlicher hier zum Thema Homosexualität Stellung genommen hat. Ich bin ähnlich wie Bordat der Ansicht, dass die Emanzipation mit einer gesteigerten Festlegung und Reduktion auf Homosexualität einhergeht. Ich meine, dass man »emanzipierte« Homosexuelle in Wahrheit in das Gefängnis ihrer »sexuellen Identität« sperrt, so gut sich das für viele – wenigstens vorübergehend – auch anfühlen mag. Anders gesagt, die respektheischende sexuelle »Besonderheitsidentität« (Odo Marquard) geht zwar mit dem Versprechen einer Art Würde einher, aber diese »Besonderheitswürde« ist um einiges beschränkter (auf sexuelles Sosein) und fragiler (abhänig von menschlichen und gesellschaftlichen Launen) als jene unbedingte und von jeglichen Eigenschaften unabhängige Menschenwürde, die wir traditionellerweise der »Allgemeinheitsidentität« (Odo Marquard) verdanken.

Damit man diesen Unterschied wahrnehmen kann, muss, wie Bordat sagt, »das Wesen des Menschen als eine Seinsqualität angenommen werden, die unabhängig von dem ist, was er tut oder sagt oder denkt. Darin leuchtet die unbedingte Würde des Menschen auf, die ebenso schöpfungstheologisch begründet ist, als eine von Gott gestiftete ›Fremdwürde‹. Hier schließt sich der Kreis von Schöpfung, Wesen und Würde und man erkennt eine Ordnung. Es steht viel auf dem Spiel (nämlich das Wesen des Menschen und seine Würde), wenn wir diese Schöpfungsordnung ad acta legen oder versuchen, sie nach Gutdünken auszuschlachten, um das herauszupicken, was heute gerade noch nützlich scheint. So geht das nicht, denn es geht ums Ganze: Wenn Sexualität für den Menschen wesentlich ist (und das ist sie), dann darf sie das Wesen des Menschen nicht verfehlen.«

Ich füge nur noch hinzu, dass man nicht katholisch sein muss, um sich mit dem von Bordat formulierten Grundgedanken anfreunden zu können.

Lebenserfahrung. Neues aus dem Fundbüro Nr. 2

Deus, vitam meam annuntiávi tibi: posuisti lacrimás meas in conspéctu tuo.
Miserére mei, Dómine, quóniam conculcávit me homo: tota die bellans tribulávit me.

(Gott, mein Leben tue ich Dir kund; Du legst meine Tränen hin vor Deine Augen.
Erbarme Dich meiner, Herr, denn er zertritt mich; den ganzen Tag bedrängt mich der Kriegsfeind!)

Zwischengesang vom Montag nach dem dritten Fastensonntag, vgl. Ps. 55, 9 und 2

»Ich bin ein Meteor.« Neues aus dem Fundbüro Nr. 1

»Ich spreche dem Individuum das Recht ab, in eigener Sache Richter und Partei zu sein. Der Teufel, der Stolz, die uns eingepfropfte Leidenschaft sind rasch bei der Hand, uns Vorwände und Entschuldigungen einzuflüstern.«  Paul Claudel

Die Gegenwart hat uns zweifellos von vielen Entbehrungen und Konventionen früherer Zeiten befreit: »Sie fördert entschieden die Impulsivität, und wir erfreuen uns der ›negativen Freiheit‹ gegenüber einer Vielzahl von zuvor eingeschränkten Aktivitäten. Die Kehrseite [...] ist jedoch der Anstieg der Kriminalität, des Drogenkonsums, unsozialen Verhaltens und die zunehmende Zerrüttung des Familienlebens. Als demokratisch verfaßt reagiert die moderne Welt positiv auf das, was wir wollen, und was wir wollen, ist nicht immer gut für uns.«  Kenneth Minogue

Die gemeinschaftlichen Träger fallen immer mehr weg: »Man versucht also, soweit als möglich jedem Einzelbewußtsein das Ganze aufzulasten, soviel wie möglich in den schmalen Lebensraum des Einzelnen einzupressen. Da dies nicht geht, verflüchtigt sich der Inhalt ins Abstrakte und Theoretische, das unser Leben nicht mehr berührt, geschweige denn formt; praktisch wird wahllos genippt, genascht, ausprobiert, mitgeschleppt. Daher rührt die immer mehr spürbare Flachheit, Dünne und Angestrengtheit [...], das beängstigende Übergewicht von Programm und Forderung.«  Hans Urs von Balthasar

»Zum Abgleiten in die Servilität gehört auch die Trivialisierung eines guten Teils des modernen Lebens.«  Kenneth Minogue

»Das vereinzelte In-der-Welt-Sein wird wild und führt seine Wildheit vor. – Existenz und Moral tretren auseinander, der Wille zum Gutsein erscheint dem wilden Selbst wie eine schale Maske, eine ekelhafte Gemütlichkeit. Durch den Mund zahlloser Individuen verkündet das Dasein: ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit; ich bin kein Staatsbürger, ich bin Müll; ich bin kein Subjekt, ich bin eine begehrende Maschine; ich habe keine Mitmenschen, ich bin ein Meteor. Ein neuheidnischer Verzeiflungsstolz findet zu seiner Sprache und verspottet die Tröstungen der metaphysischen Traditionen.«  Peter Sloterdijk

Mein persönlicher Aufschrei: bitte nicht rasieren!

Im aktuellen Spiegel-Interview verrät uns unser Bundespräsident unter der Überschrift »›Ich übe noch‹«, dass er des Morgens als Joachim Gauck aufstehe und erst, während er sich rasiere, »so langsam der Umschwung« zum Präsidenten komme. Als Der Spiegel ihn nach dem Lobenswerten an den 68ern fragt, antwortet er denn auch das, was man vom Amtsinhaber hören will (man weiß ja, dass der Privatmann etwas anders denkt): »… ich lobe sie dafür, dass sie der Wirklichkeit von Schuld einen Raum im öffentlichen Diskurs gegeben haben. Ich habe unter anderem auch am Beispiel der DDR gesehen, was mit einem kollektiven Bewusstsein geschieht, wenn man die Tiefe dieser Einkehr scheut.« (S. 36)

Öffentliche Schulddiskurse erst seit 1968? Hat der Stab des Präsidenten ihm erfolgreich ausgeredet, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit lange vor 1968, genauer gesagt im Mai 1945 begann, im Stillen sogar davor? Bevor Joachim Gauck Präsident wurde, hat er die Auswüchse der Holocaust-Religion angemessen kritisch analysiert. Damals hat er noch versucht, aus dem Schulddiskurs die Ersatzreligion herauszufiltern. Er hat Auswüchse benannt, die nun wirklich, wenn auch nur unter anderem, in der »Einkehr« der 68er wurzeln. Das eigentlich Irritierende an Gaucks Äußerung ist aber nicht einmal das 68er-Lob, sondern das zeitgeistbeflissene Übergehen unserer christlich-abendländischen Religions- und Geistesgeschichte, in der Schuldfragen stets zu den vornehmsten öffentlichen und nichtöffentlichen Angelegenheiten gehörten. Ohne sie wäre die welthistorisch einmalig intensive Aufarbeitung der Vergangenheit, nämlich der nationalsozialistischen, gar nicht möglich gewesen (vgl. etwa Jaspers Begriff der »metaphysischen Schuld«). Natürlich weiß Joachim Gauck das. Er hat bloß versucht, als Präsident den an ihn gerichteten Erwartungen zu entsprechen, und zugleich als gebildete Privatperson hinter seinen wolkigen Worten zu verschwinden.

Die homines novi von 1968 haben mit jenen ehrwürdigen Quellen meist nicht mehr viel am Hut, weshalb sie das vor ihrer Zeit Erreichte in der Regel leugnen – oder entwerten, wo sie es nicht  leugnen können. Warum aber tut ausgerechnet der Pfarrer Gauck so, als hätten die 68er den öffentlichen Schulddiskurs erfunden? Warum opfert ausgerechnet er sein Wissen um die Wahrheit dem legendenbildenden Floskelwesen? Warum nährt ausgerechnet er die defizitäre Selbstverliebtheit der späten Bundesrepublik, während, nur als Beispiel, klaglos und immer häufiger unsere Kirchen geschändet werden? (Vgl. http://smallurl.de/edglka) Im Hinblick auf diese heutigen Vergehen von Schuld zu sprechen und Umkehr zu fordern, könnte für den Bürger eine ehrbare Tat, für einen Christenmenschen eine gute Übung und für unseren Bundespräsidenten ein würdiger Appell sein.

Aber nein, wir werden mit dem Billigsten abgespeist. Mit dem Hinweis auf eine Schuld, für die es kaum noch Schuldige gibt. Mit der Anspielung auf eine Verantwortung, für die jede echte Tat mindestens 68 Jahre zu spät kommt. Derweil das »Tätervolk« vor der heutigen Schändung seiner Kirchen brav die Augen verschließt. »Wie damals«, könnte man sagen, wenn das den Aufrechten von damals, die nicht mitmachten, nicht so viel Unrecht antäte. Wird man uns sagen, dass Schändungen von christlichen Kirchen weniger verboten wären als Schändungen von Synagogen und Moscheen? Wird man sie uns als »Strafe für Auschwitz« schmackhaft machen wollen? Würde der Bundespräsident dem widersprechen und »der Wirklichkeit von Schuld einen Raum im öffentlichen Diskurs« geben? Und wenn ja, wann? – Vielleicht an dem Tag, an dem er verschläft und sich nicht rasieren kann.

Frau. Bohne. Welt. – Werkstattbericht Nr. 1

FrauOhneWelt1_Vorschau_Blog ALTIn der Reihe »Werkstattbericht« werde ich künftig in loser Folge von der verlegerischen Arbeit berichten, soweit sie über meinen Schreibtisch hinaus von Interesse sein könnte. Ich beginne heute mit einem Besuch in unserer Herstellungsabteilung.

Der Berliner Grafikdesigner und Kalligraf Frank Ortmann hat sich freundlicherweise bereit erklärt, die Cover von Bernhard Lassahns »Trilogie zur Rettung der Liebe« zu gestalten, deren erster Band demnächst in der Edition Sonderwege erscheint. Ortmann hat unter anderem für den Rowohlt Verlag den schönen Umschlag von Martin Walsers neuem Roman Das dreizehnte Kapitel entworfen. Hier besteht seine Aufgabe darin, den Flugschriftcharakter von Lassahns Büchern zum Ausdruck zu bringen. Das Cover soll leichtfüßig daherkommen, es soll freundlich, lebhaft und einladend wirken, denn schließlich handelt es sich um ein Buch nicht gegen, sondern für Frauen. Es soll ihnen und den Männern den gemeinsamen Lebensmut wiedergeben, den ihnen Feminismus und Gender-Theorie irreführenderweise auszutreiben versuchen. Und weil da ein einzelnes Buch gar nicht reicht, schreibt Lassahn gleich drei: eines über den »Krieg gegen den Mann« (1. Band), eines über den »Krieg gegen das Kind« (2. Band) und eines über den »Krieg gegen die Zukunft« (3. Band). Lassahn argumentiert scharfsinng. Humorvoll erzählt er von den unzähligen Denk- und Sprachfehlern feministisch-narzisstischer Weltflucht.

Die Kurzessays von Bernhard Lassahn, den manch einer vielleicht von Henrik Broders Blog »AchGut« kennt, kommen so freundlich und heiter daher, dass einen die Höhepunkte immer wieder kalt erwischen. Da gibt es Frauen, die andere Frauen davor warnen, sich in Männer auch nur zu verlieben, weil dies die Einstiegsdroge in die Unterdrückung durch den Mann sei! Lassahns Fazit: Je mehr die Frauen den Männern verlorengehen, desto mehr geht den Frauen die Welt verloren. Der Feminismus entfernt die Frauen von der Welt, er ist eine gnostische Bewegung. Auf den Titel von Günter Anders’ Schriftensammlung Mensch ohne Welt sind wir aber erst gestoßen, als wir recherchierten, ob es »Frau ohne Welt« schon gibt. Ich schwör’s!

Nun zu Ortmanns Entwurf. Der Gesamteindruck: ein Filmplakat aus den fünfziger Jahren (retro!). Die Pinselkalligrafie ist sehr gelungen. Sie ist kräftig und schwungvoll. Sie ist vorzüglich geeignet, die gewünschte Aufmerksamkeit zu wecken. Allein das mittlere Wörtchen »ohne« will sich noch nicht so recht in den Schreibfluss von »Frau« und »Welt« fügen. Das »h« wirkt ein wenig gequetscht, als wäre ein Auto hineingefahren, und das »e« kippt gleich nach rechts in den Zeilenuntergrund, als wäre es kurz davor, vom Verfassungsschutz angeworben zu werden. Das arme, kleine Wort steht unsicher, und dabei ist es besonders wichtig. Schließlich könnte die Kinderbuchausgabe eines Tages Frau Ohnewelt heißen, frei nach König Johann Ohneland … Die obere Schleife des »h« soll allerdings auch künftig den Wortzwischenraum des zentrierten Untertitels füllen, ohne einen anderen Buchstaben bis zur Unlesbarkeit zu verdecken. Ortmann berichtete von einer Schwierigkeit beim Schreiben des Wortes »ohne«, die ihm vermutlich das Ansetzen mit dem kleinen Anfangsbuchstaben »o« bereite, woraufhin ich vorschlug, beim Schreiben mit einem Großbuchstaben zu beginnen, der hinterher wieder entfällt, also zum Beispiel das Wort »Bohne« zu schreiben, um ein neues »ohne« mit dem angestrebten Schwung zu gewinnen. Diesen Trick will er nun ausprobieren. Frau. Bohne. Welt.

Was gibt es noch zu sagen? Die Grotesk-Schrift der Untertitel gefällt mir im Unterschied zu anderen Groteskschriften ausnehmend gut (der Name der Schrift wird nachgeliefert). Allein mit der etwas unruhigen Schrägstellung hatte ich zunächst meine Schwierigkeiten, bis Ortmann ganz entschieden eben darauf beharrte und mir erklärte, dass es sich um eine Kursivschrift handele, die er entlang ihrer Vertikalen senkrecht ausgerichtet habe. Dieses Ordnungsprinzip in einer auf den ersten Blick ungewohnten Gestaltung überzeugte mich. Die Ausrichtung von links unten nach rechts oben ist ohnedies die einzig mögliche, wenn man die Statik der Horizontalen meiden will: »Alle Lebenstatsachen haben eine Richtung« (Robert Spaemann), und wer für das Leben ist, sollte möglichst viel nach vorne und nach oben schauen. Ansonsten verwies Ortmann noch auf ein berühmtes Plattencover, das ebenfalls auf den ersten Blick improvisierter wirke, als es ist. Es handelt sich um Never Mind The Bollocks von den Sex Pistols aus dem Jahre 1977, das später von den Toten Hosen parodiert wurde. In Wahrheit, so Ortmann, sei dieses Cover mit größter Sorgfalt gearbeitet. Dort weist übrigens die Namenszeile der Band auch von links unten nach rechts oben. Die CD-Version hat leider einen vollkommen überflüssigen und den Gesamteindruck empfindlich störenden grünen Rand bekommen. So etwas werden wir hier natürlich nicht machen … Fortsetzung folgt.

FRAU OHNE WELT
Trilogie zur Rettung der Liebe von Bernhard Lassahn
Band 1: Der Krieg gegen den Mann
Klappenbroschur, 176 Seiten, 14,90/9,99 Euro.
ISBN 978-3-937801-80-3 (print)
ISBN 978-3-937801-81-0 (eBook)
Band 1 erscheint Anfang April, Band 2 voraussichtlich im Juni, Band 3 im September 2013.