Das »Ibsenweib« oder die Unfruchtbarkeit des zivilisierten Menschen – Neues aus dem Fundbüro Nr. 9

Wo das Leben Gründe braucht, da geht es zugrunde

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Tötungsgewalt vom europäischen Mann auf die europäische Frau übergegangen. Wenn das ein »Erfolg« des Feminismus ist, dann ist die rechtfertigende Funktion dieser Ideologie nicht nur »ad quem« zu verstehen – vorausdeutend auf künftige Feindschaft gegen den Mann und künftige Zerstörung der Familie , sondern auch »a quo«: als nachgeschobene Begründung für einen intergenerationellen Bürgerkrieg mit Massenmord, für beispiellose Autogenozide im Namen von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Um daran auch im schönen Spätsommer zu erinnern, steht das folgende Zitat hier als Plädoyer für die fraglose Weitergabe des Lebens, wenngleich die Rückkehr in den unten beschriebenen »Naturzustand« schwierig und nur unter großen Anstrengungen oder nur auf Umwegen möglich sein mag. Vorbeugend gegen etwaige Unterstellungen und Missverständnisse sei darauf hingewiesen, dass sich gerade unter modernen Lebensbedingungen die Weitergabe des Lebens leichter mit vielen darüber hinausgehenden Wünschen und Ansprüchen versöhnen lassen sollte als je zuvor. Aber erstaunlicherweise tritt das Gegenteil ein: feministische Emanzipation und Weitergabe des Lebens werden gegeneinander ausgespielt. Die emanzipierte Frau und alle, die sie bei ihrem ziellosen Höhenflug unterstützen, verhindern die Zeugung oder töten ungeborene Kinder und damit ein Teil von sich selbst. Denn das abgetriebene Kind ist zugleich der Sohn eines Mannes, Enkel von vier Großeltern, Urenkel von acht Urgroßeltern und verwandt mit vielen weiteren Verwandten … Die Emanzipation wird zum Argument für Pille und Abtreibung, welche beide zusammen inzwischen allein in Deutschland eine Minderbevölkerung in zweistelliger Millionenhöhe zur Folge haben. Wenn es heute eine Kollektivschuld gibt, dann an 100.000 Abtreibungen pro Jahr allein bei uns. Wie heißt es so treffend in dem nun folgenden Zitat? Erst wird die Zerstörung des genealogischen Prinzips mit materieller Not begründet und bald darauf gar nicht mehr.

»Es handelt sich hier nicht um etwas, das sich mit alltäglicher Kausalität, etwa physiologisch, begreifen ließe, wie es die moderne Wissenschaft selbstverständlich versucht hat. Hier liegt eine durchaus metaphysische Wendung zum Tode vor. Der letzte Mensch der Weltstädte will nicht mehr leben, wohl als einzelner, aber nicht als Typus, als Menge; in diesem Gesamtwesen erlischt die Furcht vor dem Tode. Das, was den echten Bauern mit einer tiefen und unerklärlichen Angst befällt, der Gedanke an das Aussterben der Familie und des Namens, hat seinen Sinn verloren. (…) Nicht nur weil Kinder unmöglich geworden sind, sondern vor allem weil die bis zum äußersten gesteigerte Intelligenz keine Gründe für ihr Vorhandensein mehr findet, bleiben sie aus. Man versenke sich in die Seele Bauern, der von Urzeiten her auf seiner Scholle sitzt und oder von ihr Besitz ergriffen hat, um dort mit seinem Blute zu haften. Er wurzelt hier als der Enkel von Ahnen und als der Ahn von künftigen Enkeln. Sein Haus, sein Eigentum: (…) erst aus dem Seßhaftwerden im mystischen Sinne erhalten die großen Epochen des Kreislaufs, Zeugung, Geburt und Tod jenen mystischen Zauber, der seinen sinnbildlichen Niederschlag in Sitte und Religion aller landfesten Bevölkerungen findet. Das alles ist für den ›letzten Menschen‹ nicht mehr vorhanden. (…) Die große Wendung tritt ein, sobald es im alltäglichen Denken einer hochkultivierten Bevölkerung für das Vorhandensein von Kindern ›Gründe‹ gibt. Die Natur kennt keine Gründe. Überall, wo es wirkliches Leben gibt, herrscht eine innere organische Logik, ein ›es‹, ein Trieb, die vom Wachsein und dessen kausalen Verkettungen durchaus unabhängig sind und von ihm gar nicht bemerkt werden. Der Geburtenreichtum ursprünglicher Bevölkerungen ist eine Naturerscheinung, über deren Vorhandensein niemand nachdenkt, geschweige denn über ihren Nutzen oder Schaden. Wo Gründe für Lebensfragen überhaupt ins Bewußtsein treten, da ist das Leben schon fragwürdig geworden. Da beginnt eine weise Beschränkung der Geburtenzahl – die bereits Polybios als das Verhängnis von Griechenland beklagt -, die aber schon lange vor ihm in den großen Städten üblich war und in römischer Zeit einen erschreckenden Umfang angenommen hat –, die zuerst mit der materiellen Not und sehr bald überhaupt nicht mehr begründet wird. Da beginnt denn auch, und zwar im buddhistischen Indien so gut wie in Babylon, in Rom wie in den Städten der Gegenwart, die Wahl der ›Lebensgefährtin‹ – der Bauer und jeder ursprüngliche Mensch wählt die Mutter seiner Kinder – ein geistiges Problem zu werden. Die Ibsenehe, die ›höhere geistige Gemeinschaft‹ erscheint, in welcher beide Teile ›frei‹ sind, frei nämlich als Intelligenzen, und zwar vom pflanzenhaften Drange des Blutes, das sich fortpflanzen will; und Shaw darf den Satz aussprechen, ›daß die Frau sich nicht emanzipieren kann, wenn sie nicht ihre Weiblichkeit, ihre Pflicht gegen ihren Mann, gegen ihre Kinder, gegen die Gesellschaft, gegen das Gesetz und gegen jeden außer gegen sich selbst, von sich wirft‹. (B. Shaw, Ibsenbrevier, S. 57) Das Urweib, das Bauernweib, ist Mutter. Seine ganze von Kindheit an ersehnte Bestimmung liegt in diesem Wort beschlossen. Jetzt aber taucht das Ibsenweib auf, die Kameradin, die Heldin einer ganzen weltstädtischen Literatur vom nordischen Drama bis zum Pariser Roman. Statt der Kinder haben sie seelische Konflikte, die Ehe ist eine kunstgewerbliche Aufgabe und es kommt darauf an, ›sich gegenseitig zu verstehen‹. (…) [Die Damen] gehören alle sich selbst und sind unfruchtbar. (…) Kinderreichtum, dessen ehrwürdiges Bild Goethe im Werther noch zeichnen konnte, wird etwas Provinziales. Der kinderreiche Vater ist in Großstädten eine Karikatur – Ibsen hat sie nicht vergessen; sie steht in seiner ›Komödie der Liebe‹. Auf dieser Stufe beginnt in allen Zivilisationen das mehrhundertjährige Stadium einer entsetzlichen Entvölkerung. Die ganze Pyramide des kulturfähigen Menschentums verschwindet. Sie wird von der Spitze herab abgebaut, zuerst die Weltstädte, dann die Provinzstädte, endlich das Land, das durch die über alles Maß anwachsende Landflucht seiner besten Bevölkerung eine Zeitlang das Leerwerden der Städte verzögert …«

(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, München 1980 [1923], S. 679–681)