Die Entdeckung des Eigenen » Sterbehilfe http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de Ein Logbuch – für das Wahre, Schöne und Gute. Gegen künstliche Probleme. Mon, 17 Mar 2014 12:11:01 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.9.2 Selbstbestimmungsschaum http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/05/24/selbstbestimmungsschaum/ http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/05/24/selbstbestimmungsschaum/#comments Fri, 24 May 2013 11:12:45 +0000 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/?p=1931 Sterbehilfe, Homo-Ehe und die »ungeborene« Zukunft

Wutschnaubend kommentiert ein Zuhörer meiner Lesung in Marburg namens Hans S. meine dort vorgebrachten Überlegungen. Ich hatte zum Thema Sterbehilfe gesprochen und aus unserem diesbezüglichen Buch vorgelesen. Hans S., der jetzt auf amazon seinem Ärger Luft macht, hat in Marburg leider nichts gesagt. Umso energischer reiht er sich in jene ein, die mir wegen meiner kritischen Haltung zur Sterbehilfe wahlweise Bevormundung oder Propaganda vorwerfen. Der Besucher, der in Marburg schwieg, als er mit mir hätte reden können, wirft mir vor, meine Moralvorstellungen gegen den Sterbewilligen »erzwingen« zu wollen.

Außerdem, sagt Hans S., wolle ich kraft meiner gesunden Seele (danke!) der kranken Seele, der niemand mehr helfen kann (woher weiß er das?), ihre Autonomie absprechen. Erstens: Ich habe noch nie die Gültigkeit meiner Moralvorstellungen gegen einen Sterbewilligen erzwungen, und das werde ich hoffentlich auch nie tun. Zweitens: Eine kranke Seele ist nicht autonom, sondern hilfsbedürftig. Drittens: Warum ist die Behauptung, dass der kranken Seele nicht mehr zu helfen sei, weniger anmaßend als meine Bitte an den Sterbewilligen und vor allem an seine Nächsten, die Hoffnung nicht aufzugeben? – Einem gewissen Kater Felix danke ich für seinen Kommentar: »Dem Selbstbestimmungsschaum vor dem Mund des Herrn Hans S. nach zu urteilen ist er selbst jedenfalls nicht suizidgefährdet. Suizid ist immer etwas für die Anderen. Wir sind ja so liberal.«

Bei »Selbstbestimmungsschaum« fällt mir der offene Brief an den Deutschen Bundestag mit der Forderung nach einer vollen Gleichstellung der Homo-Ehe ein, der den Abgeordneten in der vorigen Woche zugestellt wurde, unterzeichnet unter anderem von Martin Walser und Günter Grass: »Stellt gleich, was gleich ist!« In diesem sprachlich unglaublich misslungenen Brief, der sich wie eine unbeholfene deutsche Übersetzung aus mindestens drei verschiedenen Sprachen unter Verwendung einer pathetischen Gründungsurkunde aus dem 18. Jahrhundert liest, heißt es: »Wenn zwei Menschen egal welchen Geschlechts sich füreinander entscheiden und Verantwortung für sich, die Gesellschaft und die geborene als auch ungeborene Zukunft übernehmen wollen, dann ist dies zutiefst schützenswert.«

Es reicht also künftig, wenn ein Homosexueller »Verantwortung« für die Folgenlosigkeit seiner Sexualität übernimmt, um Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Ich finde, Verantwortung für die Folgenlosigkeit der eigenen Sexualität zu übernehmen, hieße, der Kinderlosigkeit ins Auge zu sehen und gerade nicht einfach mal ein Recht auf Kinder auszurufen. Vor allem hieße es nicht, das Auge auf die Kinder anderer Leute zu werfen. Und dann die »ungeborene« Zukunft. Was für eine Zukunft soll das eigentlich sein? Und warum heißt es bei »geborener Zukunft« nicht einfach »Kinder«? Weil »geborene Zukunft« pathetisch und gemeinnützig klingt, während das Wort »Kinder« bloß an lautes Schreien und schmutzige Windeln erinnert und an das, was eine Dame vom Deutschlandradio sich heute früh nicht entblödete zu sagen: dass sie doch so teuer sind? Das sagte sie in einer Sendung über die Unsicherheit unserer Altersversorgung. So viel Schizophrenie muss man erst einmal können.

Der Brief an den Bundestag ist ein Dokument ersten Ranges. Die Gleichstellung soll nicht nur im Recht vollzogen werden, sondern vor allem in der Natur. Die rechtliche Gleichstellung ist nur eine vorübergehende Notlösung auf dem prometheischen Weg zum neuen Menschen. Dieser neue Mensch hat Fortpflanzung und Sexualität vollständig getrennt. Liebe, so sagt der offene Brief, ist dasselbe wie Sexualität. Also hat die Fortpflanzung nichts mehr mit Liebe zu tun, und die Liebe nichts mehr mit Fortpflanzung. Deshalb auch »geborene Zukunft« statt »Kinder«. Kinder sind nur noch das Material, aus dem die Zukunft gemacht ist, weil es dummerweise keine andere gibt. Aber vielleicht findet sich auch hier eine Lösung.

Bis auf weiteres, solange wir sie noch brauchen, werden Kinder halt aus dem Labor oder aus dem Bauch einer Leihmutter kommen oder von Eltern, die sich mit ihrer traditionellen, familienorientierten Erziehungsweise des Kindesmissbrauchs schuldig machen und das Sorgerecht verlieren. So ungefähr sieht doch wohl die Hoffnung derer aus, die auf den Umbau eines Adoptionsrecht spekulieren, das früher für elternlose Kinder gedacht war und nun »für« kinderlose, homosexuelle Möchtegern-Eltern dasein soll? Richtige Eltern mit richtigen Kindern müssen diesen Zukunftsstürmern »zutiefst« verdächtig sein, denn sie bleiben Homosexuellen, die unter allen Umständen ihre Gleichheit behauptenn wollen, ein ständiges Ärgernis und eine ständige Demütigung, umso mehr, seit sie ihr beneidetes Teilvorbild überholen, ohne es einzuholen. Das Unglück Hans Christian Andersens beschrieb Hans Mayer als das Unglück »des Schwans im Ententeich, der jedoch im Ententeich zu leben hat, wo man Schwäne nicht als höhere Gattung anerkennt.« (Außenseiter, S. 233) Jetzt gibt es schon Homosexuelle (Schwäne), die die Umarmung von Mann und Frau (Enten) auf offener Straße als Diskriminierung empfinden. So beginnt die schöne, neue Welt. Mit ganz viel Stolz, mit ganz viel Prüderie, aber ohne Zukunft.

Denn der Offene Brief will uns allen Ernstes sagen: Die Weitergabe des Lebens darf nicht länger das Kriterium sein, das die Homosexualität von der normalen Sexualität unterscheidet. Nachwuchslosigkeit darf nicht mehr mit Homosexualität identifiziert werden und Elternschaft nicht mehr mit normaler Sexualität. Damit Homosexuelle für die Folgenlosigkeit ihrer Sexualität nicht diskriminiert werden, müssen geborenes und ungeborenes Leben künftig denselben Wert haben. Leben und Nichtleben müssen denselben Wert haben. Leben und Tod müssen denselben Wert haben. Und weil Leben und Tod denselben Wert haben müssen, kann man die Sterbehilfe als das bessere Leben verkaufen. Aber warum als das bessere? Wie kann der Tod »besser« sein, wenn Leben und Nichtleben sich gar nicht mehr unterscheiden?

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Gefahr für das Recht. Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 10 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/03/28/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-10/ http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/03/28/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-10/#comments Thu, 28 Mar 2013 12:19:16 +0000 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/?p=1732 Stellen wir uns vor, jemand hilft einem anderen beim Suizid. Das ist in Deutschland straffrei, und dem zeitgenössischen Denken zufolge ist es nicht einmal mehr besonders anstößig. Das entscheidende Argument für die Straffreiheit lautet: Insofern man den Selbstmord nicht bestrafen kann, könne man auch die Tatbeteiligung nicht bestrafen. Eine Mittäterschaft könne nur dann strafbar sein, wenn auch die Haupttat strafbar ist. Bei Mord, Diebstahl und Entführung leuchtet dieser Zusammenhang ein.

In Wir sollen sterben wollen habe ich geschrieben, dass das Prinzip der Akzessorietät bei der Sterbehilfe (= Suizidhilfe) deshalb nicht greife, weil das verletzte Rechtsgut  (das Leben einer Person) nicht das Gut eines Dritten ist, sondern das Gut einer der beiden an der Tat beteiligten Personen. Das trifft aber das Problem noch nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit. Sehr viel klarer sagt Robert Spaemann, wo das Problem liegt:

»Man folgert aus der gesetzlichen Erlaubtheit des Suizid, dass auch die Beihilfe zu einer erlaubten Handlung erlaubt sein müsse. Nun ist aber der Suizid und der Suizidversuch nicht ›erlaubt‹, sondern nur nicht verboten, weil er nämlich überhaupt nicht in die Rechtssphäre gehört. Der Selbstmörder tritt einfach aus aus der Gemeinschaft der Menschen. Zur Beihilfe aber gehören zwei Personen. Sie ist ein zwischenmenschliches Geschehen, fällt deshalb in die Rechtssphäre und muss, solange jemand dieser Sphäre angehört, verboten und strafbar sein.«

Man kann sich leicht ausmalen, was passiert, wenn diese Unterscheidung zwischen der Anwesenheit in der Rechtssphäre und dem Austritt aus ihr aufgegeben wird. Mit der Nivellierung dieses Unterschieds wird der Begriff des Rechtes überhaupt aufgegeben. Der offene und erklärte Verzicht auf diese Unterscheidung ist das Symptom einer Rechtskrise, das man nicht ernst genug nehmen kann. Schließlich geht es um Leben und Tod.

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Was will Rob? Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 9 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/03/16/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-9/ http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/03/16/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-9/#comments Sat, 16 Mar 2013 12:41:31 +0000 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/?p=1567 »Soylent« wie »nicht allein«: Partnersuche über Spiegel online

Der junge Mann sagt, er habe keine Lust zu essen. Er leidet aber nicht an Bulimie. Als ernährungswissenschaftlicher Autodidakt hat er sogar künstliche Nahrung entwickelt, die es ihm erlaubt, nur noch zweimal pro Woche konventionell essen zu müssen. Er hat seine Ernährung aller Sinnenfreude entkleidet und sie auf ein beigefarbenes Getränk (»Soylent«) mit dem physiologisch Notwendigen reduziert. Rob Rhinehart sieht nicht krank aus. Er vermarktet sein Wissen weltweit, ohne es zu verkaufen. Die Erfindung des 24jährigen Softwareentwicklers aus Atlanta hat sich bis zum Hamburger Hafen herumgesprochen. Dort hat Spiegel online eine Story daraus gemacht: »Pulver statt Burger. Der Mann, der aufhörte zu essen«. Die Wissenschaftsjournalistin Irene Berres glaubt, dass Rob vor einer Gesellschaft fliehe, »die Essen zur Lebensphilosophie gemacht hat«.

Ich glaube nicht, dass Rob die Gesellschaft flieht. Davon ist in seinem Blog nicht die Rede: »I just want to be in good health and spend as little time and money on food as possible.« Ihm geht es um energetische Effizienz: »Food is the fossil fuel of human energy. [...] I want to [...] spend less energy getting energy.« Gerade deshalb hat mich frühzeitig der beträchtliche Aufwand stutzig gemacht, den ein Mann betreibt, um sich das Einkaufen und Kochen zu ersparen. Irene Berres hat selbst, ohne es zu merken, den entscheidenden Hinweis geliefert: Rob Rhinehart, so schreibt sie am Ende ihres Beitrags, »könne sich schon vorstellen, in Zukunft wieder häufiger essen zu gehen. Wenn er mehr Geld habe – oder eine Freundin.« Rob flieht nicht, Rob sucht Gesellschaft.

Im Unterschied zu »Soylent Green« hat »Soylent« nichts mit Menschenfleisch zu tun, wohl aber etwas mit Menschen – und mit Liebe. »Pulver statt Burger«, ja, das stimmt schon. Aber es geht um mehr. »Soylent« ist ein akronymes Anagramm von »not solely«. Rob will nicht nicht essen, sondern nur nicht allein und nicht billig. Wer allein lebt, ist bekanntlich in größerer Gefahr, sich schlecht zu ernähren. Rob hat sich so intensiv auf die »reine« Zufuhr des Notwendigen konzentriert, dass er als Nebenertrag seiner Forschungstätigkeit eine extragroße und recht außergewöhnliche Kontaktanzeige posten kann, die sogar von Spiegel online kostenlos verbreitet wird.

Natürlich hätte er auch Astronautennahrung kaufen können. Sie hätte ihm aber nichts genutzt. Nicht nur, weil sie vermutlich zu teuer ist. Seine Tube hätte niemanden interessiert. Rob sucht doch eine Frau. Um eine zu finden, rechnet er der ganzen Welt vor, wieviel Energie er verbrennt, um sich für die Gesuchte am Leben zu erhalten. Das ist sein Weg, sich als lebenstüchtiger und sparsamer Hausvater zu empfehlen. Ich finde das sehr intelligent. Effektiver kann man interkontinentale Aufmerksamkeit nicht generieren. Ich drücke Rhinehart die Daumen, dass er fündig wird.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Angesprochenen seine Botschaft richtig verstehen. Bei Spiegel online scheint das leider nicht der Fall zu sein. Es lohnt sich eben, sehr genau hinzuhören, wenn einer kommt und sagt, was er will und was nicht. Das gilt nicht nur für die Bitte um Sterbehilfe.

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Hybridgattung. Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 7 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/02/12/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-7/ http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/02/12/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-7/#comments Tue, 12 Feb 2013 21:33:46 +0000 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/?p=596 I.

Im ersten Nachtrag zur Sterbehilfe vom 9. Januar habe ich geschrieben, dass sie für Arm und Reich attraktiv sei. Das ist in der Tat ein wichtiges Merkmal, denn es macht die Sterbehilfe zugleich attraktiv für die Gerechten unserer Tage. Auch die Homosexualität scheint in weiten Kreisen unter anderem deshalb so beliebt zu sein, weil sie gegen alle Hierarchien und sonstigen Unterschiede indifferent ist. Mindestens schützt sie weitgehend vor dem Vergewaltigungsvorwurf und – so paradox das klingt – sogar vor Abtreibung, insofern es gar nicht erst zur Zeugung kommt. »Beliebt« heißt in diesem Fall, dass die Befürworter der Homosexualität nicht homosexuell sein müssen. Vielleicht sind es Feministen, die da finden, dass die Männer ihre Sexualität unter sich ausmachen sollten (»Boygroup« heißt die enstprechende Kondomwerbung). Vielleicht sind es Männer, denen die Homosexualität der anderen die Konkurrenz um die Frauen erleichtert … Aber wir kommen vom Thema ab.

Zu den sinnfälligsten Kennzeichen der Massendemokratie gehören offenbar Phänomene, die von öffentlich propagierten und geförderten Impulshandlungen leben: Vögeln und Sterben, jetzt und sofort. Selbsteinschläferung und Homosexualität scheinen eine gleichheitssüchtige Gesellschaft der Verwirklichung ihrer Zeile ein wenig näher zu bringen. Im freiwilligen Suizid scheinen Herr und Knecht wirklich versöhnt zu werden. Das ist die gnostische Dimension der Sterbehilfe, mit der der neue, freilich tote Mensch die Ungleichheit an sich selbst und in sich selbst zum Ausgleich bringt. Er gibt den anderen ein Beispiel, dass ihm und ihnen die anstrengende fürsorgliche Pflege (Ungleichheit!) erspart. Sterbehilfe macht als radikal verwirklichte Gleichheit Konjunktur. Das Wasser muss auch bergauf fließen können (Kenneth Minogue).

II.

Die Sterbehilfe versöhnt den Hedonismus mit dem disziplinären Konformismus, was schon für Tocqueville die Pole der demokratischen Grundspannung waren (bei ihm hieß sie »Gleichheit und Despotismus«. Manche glauben doch tatsächlich, dieses Problem gäbe es heute nur in China.) »Hedonismus« bedeutet Reduktion auf niedrigste Triebe und Impulse. »Disziplinärer Konformismus« bedeutet Herrschaft der global ausufernden Hypermoral (Politische Korrektheit). Der Hedonismus unterfordert uns, der Konformismus überfordert uns. Zwischen beiden Kräften entsteht ein Vakuum, das nur durch ständiges Pendeln zwischen der einen und der anderen Daseinsform als unbeträchtlich erlebt werden kann. Beide Daseinsformen münden oft in dieselbe Suchtstruktur, weil die wirkliche Erfüllung ausbleibt. Die Übermutter Wohlfahrtsstaat produziert Sklaven in Form von Süchtigen, die als Eiferer auftreten und die Welt retten wollen, Pendler zwischen Anspruch und Abhängigkeit, zwischen NGO und Swingerclub.

Gehlens Hypermoral finden wir weiterentwickelt zur Hysterisierungsmoral: »Suchtmensch und Spätkultur«. Jetzt darf jeder sich einbilden (ganz gleich, ob Wähler oder Politiker), über sich selbst zu herrschen. Noch einmal Kenneth Minogue: »Jeder Mensch [wird] so sein eigener Phantasie-Despot, der über andere und deren Ressourcen nach Gutdünken verfügt.« (Die demokratische Sklavenmentalität, S. 286) Alle Außenhalte werden abgeräumt, weil sie einerseits zuviel Autorität und Hierarchie beanspruchen und andererseits zuviel Disziplin, Geduld und Gehorsam erfordern. Auch die Hilfsbereitschaft wird fragwürdig. Schenken ist ungerecht! Man wird kalt, darf sich aber als das Exemplar einer neuen Hybridgattung aus Sklave und Übermensch fühlen. »Regulierte Selbstregulierung« heißt das in der Verwaltungssprache. Der Preis: Die früher äußerlichen Unterschiede werden als innere Spannungen wahrhaft unerträglich. Das vermeintlich rettende Angebot gibt es natürlich auch schon. Es heißt Sterbehilfe.

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Inklusion oder Tod http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/23/inklusion-oder-tod/ http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/23/inklusion-oder-tod/#comments Wed, 23 Jan 2013 22:04:48 +0000 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/?p=431 Jerzy Montag, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, ist ein Befürworter der Sterbehilfe. Er schränkt ein: sofern die Entscheidung für den Tod »autonom« getroffen wird (wie auch immer man das macht). Und dann ist derselbe Abgeordnete – neben Christian Ströbele – ein Gegner des Inzestverbots. Klar: Die sexuelle Befreiung, das Recht auf Abtreibung und schließlich das Recht auf Sterbehilfe bilden einen nimmersatten Dreiklang. Jeder dieser drei Punkte wird im Allgemeinen aber nur für sich diskutiert. Die Zusammenschau fällt aus, während der schier unüberbietbare Vorteil gerade in der Kombination liegt, indem etwa Nr. 2 und Nr. 3 dabei helfen, die peinlichen Folgen von Nr. 1 zu beseitigen. Nur weil es Nr. 2 und Nr. 3 gibt, kann man Nr. 1 immer hemmungsloser vorantreiben. Mit Nr. 3 kann man darüber hinaus die demographischen Folgen von Nr. 2 beantworten, obwohl Nr. 3 in gewisser Weise noch schlimmer ist als Nr. 2 …

Wir erinnern uns an das Geschwisterpaar aus Zwenkau bei Leipzig, das vier gemeinsame Kinder gezeugt hat und für seine verbotene Liebe von der Wochenzeitung Die Zeit im Jahre 2004 überaus einfühlsam und verständnisvoll porträtiert wurde. Zwei der vier Kinder sind mehrfach behindert und waren damals in ihrer Entwicklung deutlich zurückgeblieben. Aber das macht nichts, denn für Behinderte gibt es die von den Vereinten Nationen geforderte »Inklusion«. Falls sie möchten, haben sie ein Recht darauf, gut aufgehoben zu sein. Falls sie das nicht möchten, haben sie die Möglichkeit, Sterbehilfe zu beanspruchen. Die wird in Deutschland bereits straffrei praktiziert; Euthanasie ist jetzt freiwillig. Der behinderte Nachwuchs kann sich früher oder später (in Holland ab 16 Jahren) zwischen den beiden Möglichkeiten »autonom« entscheiden.

Die radikale Liberalisierung schafft sich ihre künstlichen Probleme selbst und steht der künstlichen Lösung ihrer künstlichen Probleme natürlicherweise nicht im Wege. Sich unter diesen Bedingungen um das Kindeswohl zu sorgen, hieße, Geschwisterliebe zu diskriminieren, wie ja auch die Kritik am Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ohne Rücksicht auf die betroffenen Kinder unter »Homophobie« fällt: »Man munitioniert die Verteilungskämpfe rassistisch und kämpft zugleich gegen den Rassismus; ungefähr so, wie man die Emanzipationsfragen sexualisiert und gegen den Sexismus kämpft; ungefähr so, wie man die Patienten hospitalisiert und gegen den Hospitalismus kämpft, indem man die Patienten einfach umbringt.« (Wir sollen sterben wollen, S. 71)

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Soylent Green. Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 5 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/21/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-5/ http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/21/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-5/#comments Mon, 21 Jan 2013 00:41:49 +0000 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/?p=343 Für den leider unwahrscheinlichen Fall, dass keine Euthanasiestationen wie in dem Film Soylent Green entstehen und sich die hier vorgebrachten Warnungen in Sachen Sterbehilfe als utopisch (dystopisch) erweisen sollten: Die Tatsache, dass der Geist der Sterbehilfe der Feind des Wahren, Schönen und Guten ist, ist keine Utopie (Dystopie).

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Selbstzahler. Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 4 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/21/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-4/ http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/21/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-4/#comments Mon, 21 Jan 2013 00:35:42 +0000 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/?p=328 Spiegel online berichtete dieser Tage über den Doppelsuizid eines tauben, eineiigen Zwillingspaares in Belgien, das zu erblinden drohte. Der Bericht klang, als wäre das Ereignis ein Fortschritt (»… weltweit das erste Mal …«). Wahrscheinlich erwartet Spiegel online als nächstes den Dreifachsuizid taubblinder Drillinge. Oder den Vierfachsuizid taubblinder Vierlinge. Taubblindheit wird zu einem scheinbar objektiv ausreichenden Grund für den Anspruch auf Sterbehilfe. Zwischenüberschrift: »›Sie waren wirklich erschöpft.‹« Wären die beiden Taubblinden taubstumm gewesen, hätten sie das »Recht« auf taubstummen Nachwuchs gehabt.

Daneben würde in den Augen einer solchen Öffentlichkeit Taubstummheit einem Anspruch auf Sterbehilfe nicht im Weg stehen. Sie wird ja in Deutschland, Holland, Belgien auch ohne irgendeine Erkrankung geleistet. Sterbehilfe hat diese Eigendynamik, denn der Anspruch ist nur etwas wert, insofern er realisiert wird. Das kennen wir bereits. Das Recht auf Sozialhilfe ist auch etwas anderes als das Recht auf Eigentum. Das Recht auf Eigentum überlässt die Akkumulation dem Schicksal, dem Fleiß oder der Habgier. Das Recht auf Sozialhilfe ist dagegen einklagbar. Noch deutlicher zeigt sich die Entwicklung beim »Recht auf Gesundheit«, das es gar nicht geben kann – oder nur als ein Recht auf bestimmte Behandlungen. Wer nicht klagt, ist selbst schuld.

Rechte müssen sich im massendemokratischen Wohlfahrtsstaat vor allem auszahlen. Das ging bisher »nur« zu Lasten Dritter, welche die vom Staat großzügig gewährten Ansprüche finanzierten. Jetzt aber soll der Rechteinhaber selbst bezahlen, indem er seinen Kopf hinhält. Leistung und Bezahlung sind eins. Der Anspruch auf Sterbehilfe kostet den Lebenswillen und das Leben. Das ist zwar deutlich mehr, als die Sache einbringt; dafür muss man den schlechten Deal aber nicht bereuen. Das ist wirklich einmal etwas Neues. Ohne den Preis des Lebens wäre die Sterbehilfe ein alter Hut. Denn dass der Staat uns aus der einen Tasche mehr herausnimmt, als er uns zuvor in die andere hineingesteckt hat, kennen wir schon.

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»Helfen 1« und »Helfen 2«. Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 3 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/20/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-3/ http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/20/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-3/#comments Sun, 20 Jan 2013 22:14:26 +0000 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/?p=265 Kein Gemeinwesen kann ohne den Satz überleben: »Es ist gut, dass es dich gibt.« Dazu gehörte bislang, dem anderen im Ernstfall auch gegen seinen Willen zum Weiterleben zu verhelfen. Sterben kann man immer noch. Deshalb die »Garantenpflicht« des Arztes, der einem Selbstmörder zwischen Leben und Tod helfen muss. Nun legen die Befürworter der Sterbehilfe besonderen Wert auf die ärztliche Suizidhilfe, obwohl gerade sie mit der Garantenpflicht nicht zu vereinbaren ist. Der Arzt kann nicht töten und Leben retten. Plötzlich soll er aber beides können.

Sofern der Arzt nicht skrupellos ist, wird ihn der Konflikt zwischen Helfen und Töten gewaltig belasten. Dauerhaft und jederzeit. Unterschiede, die man äußerlich abschafft, verschwinden nicht. Vielmehr kehren sie als innere Spannungen in die Individuen ein und leben dort weiter. Wir müssen nun alle Rollen selbst spielen. Vielleicht versucht der Arzt den Konflikt zwischen Helfen und Töten dadurch zu entschärfen, dass er in Anlehnung an die weltfremde Gender-Sprache (»Elter 1« und »Elter 2«) von »Helfen 1« und »Helfen 2« spricht.

Irgendjemand kommt bestimmt mit dieser Lösung um die Ecke. Die Belastung des Arztes wird dadurch aber nicht geringer. Der Arzt soll plötzlich wieder etwas können, das er in der Geschichte seines Berufes (außer im Dritten Reich) weder tun musste noch tun durfte. Der Arzt, der auch Euthanasie leistet, wird bald als besonders burnout-, depressions- und suizidgefährdet gelten. Er wird Hilfe brauchen. Aber welche?

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Wollen sollen. Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 2 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/20/zweierlei-recht-nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-2-20-jan-2013/ http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/20/zweierlei-recht-nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-2-20-jan-2013/#comments Sun, 20 Jan 2013 21:58:49 +0000 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/?p=259 Wer immer noch nicht glaubt, dass aus dem Recht auf Sterbehilfe die Aufforderung erwächst, sich töten zu lassen, besuche das Jugendportal des Deutschen Bundestages (http://www.mitmischen.de/diskutieren/nachrichten/januar-13/suizidhilfe/index.jsp). Der scheinbar neutrale Text, der unter anderem vom »Recht auf einen würdigen Tod« handelt, wird dort mit dem Foto einer jungen Frau illustriert, die auf einer Autobahnbrücke steht. Ging es nicht eben noch um Todkranke? Ging es nicht eben noch um Suizidprävention?

Im großen Unterschied zum »Recht« auf Sterbehilfe kann das unspezifische Recht auf Selbstbestimmung vor allem eins: Ruhen. Sei es, weil die Arbeit ruft oder weil einen die Grippe ins Bett wirft. Das Recht auf Sterbehilfe kann nicht ruhen. Die Möglichkeit, sich töten zu lassen, geht von vornherein mit der Aufforderung einher, nicht »sinnlos« zu leiden. Das »Recht auf einen würdigen Tod« macht den »unwürdigen« Tod lächerlich unnötig. Um das Recht auf Sterbehilfe nicht in Anspruch zu nehmen, muss man leiden wollen. Wer will das schon? Und wer wird darauf bestehen, es zu dürfen?

Liberalität in Sachen Suizid ist keine. Wo man die Leute vom Selbstmord nicht mehr abhält, ist das Fehlen der Abhaltung von der Werbung für den Selbstmord nicht zu unterscheiden. Das Sterbehilfe-Angebot ist ein Giftbecher, der ausgetrunken werden soll. Dass wir ihn austrinken »wollen sollen«, hat mit vielem zu tun, aber nicht mit »Selbstbestimmung«. Präziser ist die Verwaltungssprache, die das »Wollen sollen« seit langem als »regulierte Selbstregulierung« kennt.

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Arm und Reich. Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 1 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/09/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-1/ http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/2013/01/09/nachtrag-zur-sterbehilfe-nr-1/#comments Wed, 09 Jan 2013 22:04:35 +0000 http://www.die-entdeckung-des-eigenen.de/?p=129 Ist die Sterbehilfe nicht eine Verlegenheitsantwort auf die kommende Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen? Könnte sie uns nicht die ungerechte Zweiklassenmedizin ersparen, indem Patienten, für die das Geld fehlt, »freiwillig« sterben? In diesem Sinne heißt es auf Seite 54 meines Beitrags zu dem Buch über Sterbehilfe, das in Kürze bei Manuscriptum erscheint:

»Anstelle einer Zweiklassenmedizin, in der die einen besser behandelt werden als die anderen, entsteht unter den Bedingungen der Sterbehilfe eine Zweiklassenmedizin, in der sich die einen, die den neuen Lebensbedingungen seelisch und materiell gewachsen sind, privat oder im Ausland behandeln lassen, und die anderen, die es nicht sind, sterben.«

Und schon muss ich mich korrigieren. Das war insofern noch zu kurz gedacht, als die Neigung zum Selbstmord genauso wenig vor vermögenden Leuten halt macht (siehe Gunter Sachs, Robert Enke) wie die Verführbarkeit durch Sterbehilfe. Ein Freund erzählte mir von einem reichen Pariser Ehepaar, das sich gemeinsam in der Schweiz umbringen ließ ohne ernsthaft krank zu sein, zuvor aber die Familie zu einem nachhaltig verstörenden Abschiedstreffen einlud, erster Klasse nach Zürich flog, in einem standesgemäßen Hotel abstieg und ein feines Abendessen verzehrte. Am nächsten Tag war es dann soweit.

Nein, Sterbehilfe ist deshalb »die zarteste Versuchung seit es den Wohlfahrtsstaat gibt«, weil sie sich zu Klassen- und Vermögensschranken neutral verhält. Das macht sie sozialpolitisch unheimlich attraktiv: Der Staat, der sich einer Gerechtigkeit verschrieben hat, die es eigentlich nur im Himmel gibt, hätte eine Sorge weniger, wenn ihm der »Selbstmord für alle« dabei hülfe, auf die Einführung einer Zweiklassenmedizin verzichten zu können.

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