Dabei sind die Kosten für die Verheiratung der Töchter eine Ausgabe, der zumeist Einnahmen durch die Heirat von Söhnen gegenüberstehen. Sie sind also Teil eines transgeschlechtlichen und transgenerationellen Wirtschaftskreislaufs, der freilich unter den Bedingungen der Modernisierung – der Selbstständigkeit und Berufstätigkeit von Frauen – ins Stocken gerät. Wie das genealogische Prinzip überhaupt. Frauen, die nicht heiraten, schwächen den Heiratsmarkt genauso wie Frauen, die gar nicht erst geboren werden. Oder wie Männer, die keine Frauen zur Familiengründung finden, weil die lieber arbeiten gehen. Folglich könnte es sein, dass die Emanzipation die Sache schlimmer macht. Dieses neu entstandene, künstliche Problem kann aber aus deutscher und europäischer Quotensicht nur durch noch mehr Frauenselbstständigkeit und Frauenberufstätigkeit gelöst werden. Damit diese Perspektive keinen Schaden leidet, sollen wir über Indien nur das vermeintlich Wesentliche erfahren. Und tatsächlich bestätigte schließlich ein Experte für die indische Gesellschaft im Interview zähneknirschend die pauschale These von der landesweiten Unterdrückung der Frau. Seine vergeblichen Differenzierungsversuche stellte er brav ein.
Die Tatsache, dass bei uns Mädchen und Jungen millionenfach abgetrieben werden, wurde gar nicht erst angesprochen. Was in Indien für ein Zeichen von Rückständigkeit gilt, dient bei uns der Emanzipation der Frau und wird unter Fortschrittskosten verbucht. Aber wer soll diesen Fortschritt eigentlich genießen, wenn das Gebären von Kindern – diese natürliche Produktion von Ungleichheit – schon fast reaktionär ist?
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