Die Dame hinter der Theke des Berliner Cafés sprach zu ihrem Bekannten über ihren Freund. Der habe sie gefragt, ob sie am Wochenende »zum Drehen« mitkäme. Er würde ihre Hilfe gut gebrauchen können und sich freuen, wenn sie dabeiwäre. Sie aber habe ihm gesagt, nein, sie werde nicht mitkommen. Sie denke ja gar nicht daran, ihm zu helfen, solange er sich nicht an ihrer Hausarbeit beteilige. Immerzu sei sie diejenige, die am Freitag die Wohnung putzen müsse. Kurzum, das gemeinsame Wochenende gebe es nur gegen gemeinsame Hausarbeit. Sie müsse ja schließlich auch arbeiten gehen und Geld verdienen.
Das Traurige an dieser Rede war, daß die Dame schon gar nicht mehr auf die Idee kam, sich zu fragen, ob sie Lust hatte, das Wochenende mit ihrem Freund zu verbringen. Das Geben und Nehmen einer Geschäftsbeziehung hatte sich wie unbemerkt an die Stelle selbstverständlichen Miteinanders gesetzt, schlimmer noch, das Verrechnen jeglicher Liebesdienste drohte die Liebe zu ersticken, nämlich die Freude darüber, daß es den anderen gibt und das auch noch mitten im eigenen Leben. Wer aber einmal zu rechnen angefangen hat, wird schwerlich wieder aufhören können. Die perfekte Verrechnungspraxis ergibt sich aus dem Singledasein, in dem ich vermeintlich niemandem etwas schuldig bin. Möglicherweise ist in diesem Fall auch die Trennung der nächste Schritt, wenn er nicht innerlich schon vollzogen wurde: »Jeder macht sein Ding«, notfalls alleine.
Kurz darauf schlägt ein Arzt öffentlich vor, nur noch solche Patienten in den Genuß eines Spenderorgans kommen zu lassen, die sich ihrerseits zur Organspende bereit erklärt haben. Falls das nicht der Fall wäre, sollten sie sich ganz hinten anstellen. Die Logik dieses Vorschlags ist bestechend, und trotzdem ist daran etwas faul. Aber was? Als Maxime individueller Lebensführung kommt das Prinzip ja durchaus in Betracht. Wenn ich nicht unter zweifelhaften Umständen voreilig für hirntot erklärt und nicht möglichst rasch um meine inneren Organe erleichtert werden möchte (wobei für die Feststellung des Hirntodes bemerkenswerterweise je nach Bundesland andere Regeln gelten), dann sollte ich vielleicht auch darauf verzichten, dasselbe von anderen zu erwarten und es für wichtiger zu halten, daß ich gerettet werde und nicht sie. Kürzlich sprach ich mit einem Freund, einem dreifachen Familienvater, über dieses Problem. Er lehnt Organspende ab und will auch seinerseits kein Spenderorgan beanspruchen. Aber was macht er, wenn eines der Kinder plötzlich ein Spenderorgan braucht? Oder wenn er doch eins braucht, weil die Kinder ihn brauchen? Unsere einzige Idee war, zu hoffen und zu beten, daß es nicht soweit käme.
Anders gefragt, was wäre die Spendebereitschaft eines Patienten wert, dessen Organe aus welchen Gründen auch immer für andere Menschen ungeeignet sind? Soll er dann Ersatzleistungen oder Ersatzbereitschaften vorweisen müssen, um nicht auf dem letzten Platz zu landen? Was ist mit medizinischen Leistungen, die mit einem bestimmten Lebenswandel im Zusammenhang stehen? Müssen Raucher, die an Lungenkrebs leiden, überhaupt noch behandelt werden? Oder Alkoholiker mit Leberzirrhose? Das Verrechnungsschema »Empfangsberechtigung gegen Spendebereitschaft« hat Konsequenzen weit über die Organspende hinaus.
Die Spatzen pfeifen es inzwischen von den Dächern, daß die Hochleistungsmedizin bald eine Exklusivmedizin sein wird und daß auf Dauer – vorsichtig gesagt – nicht mehr alle in den Genuß gigantisch teurer Therapien kommen werden. Also muß selektiert werden, mehr und strenger als je zuvor. »Gerecht« kann hier nur die umfassende und flächendeckende, am besten europaweite bürokratische Regelung sein, nicht aber der ärztliche Entschluß im konkreten Fall. Der Arzt darf nicht mehr seinem Gewissen folgen, und der Patient kann schreien, so viel er will. Der Fortschritt selbst, der unbezahlbar wird, untergräbt das Ethos des Helfens. Die Latte wird immer höher gelegt, bis der pure Fatalismus bleibt, oder die freiwillig beanspruchte Sterbehilfe etwaige Gerechtigkeitslücken schießt. Mit welchen Worten wurde Ministerin Zypries dieser Tage zum Thema Samenspende zitiert? – »Der säkulare Staat kennt kein Schicksal mehr.« Aber dazu ein andermal.
]]>Wutschnaubend kommentiert ein Zuhörer meiner Lesung in Marburg namens Hans S. meine dort vorgebrachten Überlegungen. Ich hatte zum Thema Sterbehilfe gesprochen und aus unserem diesbezüglichen Buch vorgelesen. Hans S., der jetzt auf amazon seinem Ärger Luft macht, hat in Marburg leider nichts gesagt. Umso energischer reiht er sich in jene ein, die mir wegen meiner kritischen Haltung zur Sterbehilfe wahlweise Bevormundung oder Propaganda vorwerfen. Der Besucher, der in Marburg schwieg, als er mit mir hätte reden können, wirft mir vor, meine Moralvorstellungen gegen den Sterbewilligen »erzwingen« zu wollen.
Außerdem, sagt Hans S., wolle ich kraft meiner gesunden Seele (danke!) der kranken Seele, der niemand mehr helfen kann (woher weiß er das?), ihre Autonomie absprechen. Erstens: Ich habe noch nie die Gültigkeit meiner Moralvorstellungen gegen einen Sterbewilligen erzwungen, und das werde ich hoffentlich auch nie tun. Zweitens: Eine kranke Seele ist nicht autonom, sondern hilfsbedürftig. Drittens: Warum ist die Behauptung, dass der kranken Seele nicht mehr zu helfen sei, weniger anmaßend als meine Bitte an den Sterbewilligen und vor allem an seine Nächsten, die Hoffnung nicht aufzugeben? – Einem gewissen Kater Felix danke ich für seinen Kommentar: »Dem Selbstbestimmungsschaum vor dem Mund des Herrn Hans S. nach zu urteilen ist er selbst jedenfalls nicht suizidgefährdet. Suizid ist immer etwas für die Anderen. Wir sind ja so liberal.«
Bei »Selbstbestimmungsschaum« fällt mir der offene Brief an den Deutschen Bundestag mit der Forderung nach einer vollen Gleichstellung der Homo-Ehe ein, der den Abgeordneten in der vorigen Woche zugestellt wurde, unterzeichnet unter anderem von Martin Walser und Günter Grass: »Stellt gleich, was gleich ist!« In diesem sprachlich unglaublich misslungenen Brief, der sich wie eine unbeholfene deutsche Übersetzung aus mindestens drei verschiedenen Sprachen unter Verwendung einer pathetischen Gründungsurkunde aus dem 18. Jahrhundert liest, heißt es: »Wenn zwei Menschen egal welchen Geschlechts sich füreinander entscheiden und Verantwortung für sich, die Gesellschaft und die geborene als auch ungeborene Zukunft übernehmen wollen, dann ist dies zutiefst schützenswert.«
Es reicht also künftig, wenn ein Homosexueller »Verantwortung« für die Folgenlosigkeit seiner Sexualität übernimmt, um Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Ich finde, Verantwortung für die Folgenlosigkeit der eigenen Sexualität zu übernehmen, hieße, der Kinderlosigkeit ins Auge zu sehen und gerade nicht einfach mal ein Recht auf Kinder auszurufen. Vor allem hieße es nicht, das Auge auf die Kinder anderer Leute zu werfen. Und dann die »ungeborene« Zukunft. Was für eine Zukunft soll das eigentlich sein? Und warum heißt es bei »geborener Zukunft« nicht einfach »Kinder«? Weil »geborene Zukunft« pathetisch und gemeinnützig klingt, während das Wort »Kinder« bloß an lautes Schreien und schmutzige Windeln erinnert und an das, was eine Dame vom Deutschlandradio sich heute früh nicht entblödete zu sagen: dass sie doch so teuer sind? Das sagte sie in einer Sendung über die Unsicherheit unserer Altersversorgung. So viel Schizophrenie muss man erst einmal können.
Der Brief an den Bundestag ist ein Dokument ersten Ranges. Die Gleichstellung soll nicht nur im Recht vollzogen werden, sondern vor allem in der Natur. Die rechtliche Gleichstellung ist nur eine vorübergehende Notlösung auf dem prometheischen Weg zum neuen Menschen. Dieser neue Mensch hat Fortpflanzung und Sexualität vollständig getrennt. Liebe, so sagt der offene Brief, ist dasselbe wie Sexualität. Also hat die Fortpflanzung nichts mehr mit Liebe zu tun, und die Liebe nichts mehr mit Fortpflanzung. Deshalb auch »geborene Zukunft« statt »Kinder«. Kinder sind nur noch das Material, aus dem die Zukunft gemacht ist, weil es dummerweise keine andere gibt. Aber vielleicht findet sich auch hier eine Lösung.
Bis auf weiteres, solange wir sie noch brauchen, werden Kinder halt aus dem Labor oder aus dem Bauch einer Leihmutter kommen oder von Eltern, die sich mit ihrer traditionellen, familienorientierten Erziehungsweise des Kindesmissbrauchs schuldig machen und das Sorgerecht verlieren. So ungefähr sieht doch wohl die Hoffnung derer aus, die auf den Umbau eines Adoptionsrecht spekulieren, das früher für elternlose Kinder gedacht war und nun »für« kinderlose, homosexuelle Möchtegern-Eltern dasein soll? Richtige Eltern mit richtigen Kindern müssen diesen Zukunftsstürmern »zutiefst« verdächtig sein, denn sie bleiben Homosexuellen, die unter allen Umständen ihre Gleichheit behauptenn wollen, ein ständiges Ärgernis und eine ständige Demütigung, umso mehr, seit sie ihr beneidetes Teilvorbild überholen, ohne es einzuholen. Das Unglück Hans Christian Andersens beschrieb Hans Mayer als das Unglück »des Schwans im Ententeich, der jedoch im Ententeich zu leben hat, wo man Schwäne nicht als höhere Gattung anerkennt.« (Außenseiter, S. 233) Jetzt gibt es schon Homosexuelle (Schwäne), die die Umarmung von Mann und Frau (Enten) auf offener Straße als Diskriminierung empfinden. So beginnt die schöne, neue Welt. Mit ganz viel Stolz, mit ganz viel Prüderie, aber ohne Zukunft.
Denn der Offene Brief will uns allen Ernstes sagen: Die Weitergabe des Lebens darf nicht länger das Kriterium sein, das die Homosexualität von der normalen Sexualität unterscheidet. Nachwuchslosigkeit darf nicht mehr mit Homosexualität identifiziert werden und Elternschaft nicht mehr mit normaler Sexualität. Damit Homosexuelle für die Folgenlosigkeit ihrer Sexualität nicht diskriminiert werden, müssen geborenes und ungeborenes Leben künftig denselben Wert haben. Leben und Nichtleben müssen denselben Wert haben. Leben und Tod müssen denselben Wert haben. Und weil Leben und Tod denselben Wert haben müssen, kann man die Sterbehilfe als das bessere Leben verkaufen. Aber warum als das bessere? Wie kann der Tod »besser« sein, wenn Leben und Nichtleben sich gar nicht mehr unterscheiden?
]]>In Wir sollen sterben wollen habe ich geschrieben, dass das Prinzip der Akzessorietät bei der Sterbehilfe (= Suizidhilfe) deshalb nicht greife, weil das verletzte Rechtsgut (das Leben einer Person) nicht das Gut eines Dritten ist, sondern das Gut einer der beiden an der Tat beteiligten Personen. Das trifft aber das Problem noch nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit. Sehr viel klarer sagt Robert Spaemann, wo das Problem liegt:
»Man folgert aus der gesetzlichen Erlaubtheit des Suizid, dass auch die Beihilfe zu einer erlaubten Handlung erlaubt sein müsse. Nun ist aber der Suizid und der Suizidversuch nicht ›erlaubt‹, sondern nur nicht verboten, weil er nämlich überhaupt nicht in die Rechtssphäre gehört. Der Selbstmörder tritt einfach aus aus der Gemeinschaft der Menschen. Zur Beihilfe aber gehören zwei Personen. Sie ist ein zwischenmenschliches Geschehen, fällt deshalb in die Rechtssphäre und muss, solange jemand dieser Sphäre angehört, verboten und strafbar sein.«
Man kann sich leicht ausmalen, was passiert, wenn diese Unterscheidung zwischen der Anwesenheit in der Rechtssphäre und dem Austritt aus ihr aufgegeben wird. Mit der Nivellierung dieses Unterschieds wird der Begriff des Rechtes überhaupt aufgegeben. Der offene und erklärte Verzicht auf diese Unterscheidung ist das Symptom einer Rechtskrise, das man nicht ernst genug nehmen kann. Schließlich geht es um Leben und Tod.
]]>Ist zu teilen nicht gerechter, als nicht zu teilen? Nein, das weise Urteil König Salomos ist gerecht, weil mit der Tötung des verbliebenen Kindes die irdische Gerechtigkeit für dieses Mal aufhören würde. Auch die irdische Freiheit hört mit dem Tod auf, weshalb der »freie« Tod keine Realisierung von Freiheit sein kann. Die obige Geschichte lehrt auch dies: Je lauter und je häufiger die Forderung nach »Gerechtigkeit« erhoben wird, desto mehr Neid könnte im Spiel sein. Ich habe auf diese Gefahr bereits im Zusammenhang eines Adoptionsrechtes »für« (!) gleichgeschlechtliche Paare hingewiesen, denn ein solches Recht würde bedeuten, das Vermittlungswesen am Wohl künftiger Adoptiveltern auszurichten und nicht am maximalen Wohl des Adoptivkindes.
Die Motive, die den aktuellen Umbau vorantreiben, werden nur im Rahmen des großen Trends zur Trennung von Sexualität und Fortpflanzung verständlich. Warum natürlich tun, was man für viel Geld und mit viel Verwaltungsaufwand auch künstlich tun kann? Warum rechtzeitig natürlich befruchten, wenn es künstlich auch später noch geht? Gleichgeschlechtliche Paare erfinden plötzlich ein »Recht auf Kinder«, das es bislang für niemanden gab, das aber in Zeiten steigender Rentenempfänger und sinkender Renten eine bessere Altersversorgung versprechen könnte. Schließlich geht mit dem Erbanspruch eines Adoptivkindes auch eine Fürsorgepflicht zum Wohle der Adoptiveltern einher.
Natürliche Zeugung, Kindesaufzucht durch eigene Mütter oder die Pflege kranker und alter Familienangehöriger bringen dem Staat kurzfristig kein Geld ein, weil sie kein Geld kosten und keine Steuern generieren. Sie »kosten« den Staat vielmehr jene Steuern, die ihm mangels Einnahmen (Lohn oder Gehalt) und mangels Ausgaben (Einkauf teurer Leistungen) entgehen. Für die Staatskasse wäre es besser, Angehörige würden arbeiten gehen und ihre Dienstleistung einkaufen. Ein gesundes Familienleben schmälert das Bruttosozialprodukt, es ist Steuerhinterziehung! Auf einmal scheint die natürliche, kostenlose Sorge das Gemeinwesen zu schädigen, statt dass sie es erhalten würde. Der finanziell überforderte Sozialstaat bedroht am Ende die tätige Liebe. Eine immer materialistischere Weltsicht bemächtigt sich der Fragen von Leben und Tod. Das wäre ein Thema für Die Linke und für Die Grünen.
In dem Sterbehilfe-Buch von Axel Bauer und mir heißt es in meinem Beitrag Wir sollen sterben wollen auf Seite 63: »Bevor unsere kurzatmige, neue Welt nichts kostet und also auch nichts einbringt, soll sie lieber noch kurzatmiger werden. Das erinnert an das russische Märchen, in welchem die Fee einem Bauern einen Wunsch erfüllen möchte – mit der einzigen Bedingung, dass dieser Wunsch seinem Nachbarn doppelt erfüllt werde. Der Bauer überlegt und sagt: ›Stich mir ein Auge aus.‹ Wir aber, die wir nach Sterbehilfe verlangen, antworten der Fee: ›Stich mir ins Herz‹, damit auch die Frau des Nachbarn ins Grab sinke.«
Die Tatsache, dass ich dem anderen »erlaube zu gehen, wann er will«, erleichtert mich um meine eigene Lebens-und Todesangst, weil ich nun weiß, dass auch ich »gehen darf, wann ich will«. Zu meiner eigenen Beruhigung schicke ich den anderen vor. Das erklärt, warum so viele Leute das Recht auf Sterbehilfe nicht für sich, sondern ganz selbstlos »nur für die anderen« fordern. Die obige Geschichte aus dem Alten Testament wirft ein ähnlich beunruhigendes Licht auf das Abtreibungsproblem. Warum erwartet unser Zeitgeist von Frauen, die aus welchen Gründen auch immer abgetrieben haben, dass sie ganz allgemein »für Abtreibung« sind? Wie kann man überhaupt »für Abtreibung« als alltägliche, jederzeit verfügbare »Problemlösung« sein? Wie konnte aus einer Ausnahme die Regel werden?
Pro Jahr kommt es in Deutschland zu rund 100.000 Abtreibungen. Im Adoptionswesen würde ein quotierter Anteil für gleichgeschlechtliche Paare bei rund 200 Kindern pro Jahr liegen (4.060 Adoptionen gab es im Jahre 2011 insgesamt!). Ein derart lärmender Streit um 200 Kinder, während die fünfhundertfache Zahl von Kindern mit wachsender Selbstverständlichkeit abgetrieben wird? Wir leben wahrlich in seltsamen Verhältnissen. Um auf die verborgene Analogie von Abtreibung und Sterbehilfe hinzuweisen: Welche Frauen beruhigt es in ihrer eigenen Not, wenn sie wissen, dass auch andere abtreiben? Dass sie, wenn andere auch künftig abtreiben, mit ihrer eigenen Abtreibung niemals allein sein werden? Damit kommen wir zurück zu den streitenden Frauen und König Salomo. Dort erträgt es die kinderlose Mutter in ihrer Trauer nicht, dass ihre Nebenfrau ihr Kind noch hat. Der Streit gipfelt darin, dass sie wünscht, dass König Salomo das Kind der anderen töten lasse und lieber keine von beiden ein Kind habe. Auch der böse Geist des russischen Bauern ist in der Geschichte aus dem 3. Buch der Könige mit enthalten. Wer aber fällt heute oder morgen Salomos weises Urteil?
]]>Im ersten Nachtrag zur Sterbehilfe vom 9. Januar habe ich geschrieben, dass sie für Arm und Reich attraktiv sei. Das ist in der Tat ein wichtiges Merkmal, denn es macht die Sterbehilfe zugleich attraktiv für die Gerechten unserer Tage. Auch die Homosexualität scheint in weiten Kreisen unter anderem deshalb so beliebt zu sein, weil sie gegen alle Hierarchien und sonstigen Unterschiede indifferent ist. Mindestens schützt sie weitgehend vor dem Vergewaltigungsvorwurf und – so paradox das klingt – sogar vor Abtreibung, insofern es gar nicht erst zur Zeugung kommt. »Beliebt« heißt in diesem Fall, dass die Befürworter der Homosexualität nicht homosexuell sein müssen. Vielleicht sind es Feministen, die da finden, dass die Männer ihre Sexualität unter sich ausmachen sollten (»Boygroup« heißt die enstprechende Kondomwerbung). Vielleicht sind es Männer, denen die Homosexualität der anderen die Konkurrenz um die Frauen erleichtert … Aber wir kommen vom Thema ab.
Zu den sinnfälligsten Kennzeichen der Massendemokratie gehören offenbar Phänomene, die von öffentlich propagierten und geförderten Impulshandlungen leben: Vögeln und Sterben, jetzt und sofort. Selbsteinschläferung und Homosexualität scheinen eine gleichheitssüchtige Gesellschaft der Verwirklichung ihrer Zeile ein wenig näher zu bringen. Im freiwilligen Suizid scheinen Herr und Knecht wirklich versöhnt zu werden. Das ist die gnostische Dimension der Sterbehilfe, mit der der neue, freilich tote Mensch die Ungleichheit an sich selbst und in sich selbst zum Ausgleich bringt. Er gibt den anderen ein Beispiel, dass ihm und ihnen die anstrengende fürsorgliche Pflege (Ungleichheit!) erspart. Sterbehilfe macht als radikal verwirklichte Gleichheit Konjunktur. Das Wasser muss auch bergauf fließen können (Kenneth Minogue).
II.
Die Sterbehilfe versöhnt den Hedonismus mit dem disziplinären Konformismus, was schon für Tocqueville die Pole der demokratischen Grundspannung waren (bei ihm hieß sie »Gleichheit und Despotismus«. Manche glauben doch tatsächlich, dieses Problem gäbe es heute nur in China.) »Hedonismus« bedeutet Reduktion auf niedrigste Triebe und Impulse. »Disziplinärer Konformismus« bedeutet Herrschaft der global ausufernden Hypermoral (Politische Korrektheit). Der Hedonismus unterfordert uns, der Konformismus überfordert uns. Zwischen beiden Kräften entsteht ein Vakuum, das nur durch ständiges Pendeln zwischen der einen und der anderen Daseinsform als unbeträchtlich erlebt werden kann. Beide Daseinsformen münden oft in dieselbe Suchtstruktur, weil die wirkliche Erfüllung ausbleibt. Die Übermutter Wohlfahrtsstaat produziert Sklaven in Form von Süchtigen, die als Eiferer auftreten und die Welt retten wollen, Pendler zwischen Anspruch und Abhängigkeit, zwischen NGO und Swingerclub.
Gehlens Hypermoral finden wir weiterentwickelt zur Hysterisierungsmoral: »Suchtmensch und Spätkultur«. Jetzt darf jeder sich einbilden (ganz gleich, ob Wähler oder Politiker), über sich selbst zu herrschen. Noch einmal Kenneth Minogue: »Jeder Mensch [wird] so sein eigener Phantasie-Despot, der über andere und deren Ressourcen nach Gutdünken verfügt.« (Die demokratische Sklavenmentalität, S. 286) Alle Außenhalte werden abgeräumt, weil sie einerseits zuviel Autorität und Hierarchie beanspruchen und andererseits zuviel Disziplin, Geduld und Gehorsam erfordern. Auch die Hilfsbereitschaft wird fragwürdig. Schenken ist ungerecht! Man wird kalt, darf sich aber als das Exemplar einer neuen Hybridgattung aus Sklave und Übermensch fühlen. »Regulierte Selbstregulierung« heißt das in der Verwaltungssprache. Der Preis: Die früher äußerlichen Unterschiede werden als innere Spannungen wahrhaft unerträglich. Das vermeintlich rettende Angebot gibt es natürlich auch schon. Es heißt Sterbehilfe.
]]>Wir erinnern uns an das Geschwisterpaar aus Zwenkau bei Leipzig, das vier gemeinsame Kinder gezeugt hat und für seine verbotene Liebe von der Wochenzeitung Die Zeit im Jahre 2004 überaus einfühlsam und verständnisvoll porträtiert wurde. Zwei der vier Kinder sind mehrfach behindert und waren damals in ihrer Entwicklung deutlich zurückgeblieben. Aber das macht nichts, denn für Behinderte gibt es die von den Vereinten Nationen geforderte »Inklusion«. Falls sie möchten, haben sie ein Recht darauf, gut aufgehoben zu sein. Falls sie das nicht möchten, haben sie die Möglichkeit, Sterbehilfe zu beanspruchen. Die wird in Deutschland bereits straffrei praktiziert; Euthanasie ist jetzt freiwillig. Der behinderte Nachwuchs kann sich früher oder später (in Holland ab 16 Jahren) zwischen den beiden Möglichkeiten »autonom« entscheiden.
Die radikale Liberalisierung schafft sich ihre künstlichen Probleme selbst und steht der künstlichen Lösung ihrer künstlichen Probleme natürlicherweise nicht im Wege. Sich unter diesen Bedingungen um das Kindeswohl zu sorgen, hieße, Geschwisterliebe zu diskriminieren, wie ja auch die Kritik am Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ohne Rücksicht auf die betroffenen Kinder unter »Homophobie« fällt: »Man munitioniert die Verteilungskämpfe rassistisch und kämpft zugleich gegen den Rassismus; ungefähr so, wie man die Emanzipationsfragen sexualisiert und gegen den Sexismus kämpft; ungefähr so, wie man die Patienten hospitalisiert und gegen den Hospitalismus kämpft, indem man die Patienten einfach umbringt.« (Wir sollen sterben wollen, S. 71)
]]>Als ich 1983/84 in der Querschnittabteilung der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg meinen Zivildienst geleistet habe, konnte ich immer wieder die seelischen Prozesse von querschnittgelähmten Unfallopfern beobachten. Am Anfang wechseln sich Todeswunsch und Lebenswille bei dramatischen Ausschlägen in rascher Folge ab. Dann, im Laufe der Zeit, wird die Kurve flacher. Optimismus und Lebenswille stabilisieren sich gleichzeitig mit den Therapieerfolgen und mit der zunehmend wiedererlangten Selbständigkeit. Der Todeswunsch verliert sich früher oder später – fast immer. So war das offenbar auch bei dem deutschen Taubblinden, den Melanie Mühl anführt. Wäre dagegen der Todeswunsch ein verlässliches Kriterium für Suizidhilfe, müssten sich praktisch alle querschnittgelähmten Unfallopfer umbringen dürfen. Damit sie es möglichst nicht tun, sollte man ihnen dabei nicht helfen.
Genau das wird aber vielfach verlangt: Den Todeswunsch eins zu eins aufzugreifen und »zu helfen«. Was wollen uns die Leute eigentlich sagen, die in allen möglichen Foren plötzlich reihenweise behaupten, dieser oder jener Fall von Krankheit oder Behinderung sei absolut unzumutbar? Sie behaupten, sie wüssten das aus eigener Anschauung, obwohl sie für einen anderen sprechen, von dem man in der Regel nicht einmal erfährt, ob und wann und wie lange der sterben wollte.
Wollen diese Leute, die gleichermaßen öffentlich und demonstrativ mitleiden, vielleicht nur sich selbst die Zumutungen ersparen, die aus dem Kranksein erwachsen? Können sie das Leid ihrer Nächsten vielleicht einfach nicht mit ansehen? Das ist doch wohl zumindest nicht ausgeschlossen. Es wäre sogar verständlich, aber trotzdem wäre es falsch, ihrem Impuls nachzugeben. Zunächst hilft nur eins: Wir müssen anerkennen, dass Krankheit und Tod für Angehörige, Freunde, Pfleger, Ärzte u.s.w. unglaublich anstrengend sein können. Der Lebenswille, der auch ein leidvolles Leben schier endlos in die Länge ziehen mag, kann für die anderen unglaublich anstrengend sein. Selbst dann, wenn man gar nicht täglich damit konfrontiert wird.
Man führt einmal ins Heim, weil es angeblich ans Sterben geht. Fehlalarm. Ein paar Wochen später (zwischendurch fanden normale Besuche statt) fährt man noch einmal hin. Wieder Fehlalarm. Dann heißt es zum dritten Mal Abschied nehmen. Das kann über Monate oder Jahre so weitergehen. Man wird hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Trauer und weiß bald nicht mehr, was einem lieber ist. Erleichternd wäre die endgültige Klarheit in die eine oder andere Richtung. Krankheit und Tod können für alle unglaublich anstrengend sein, eine Zumutung, eine narzisstische Kränkung.
Pflege ist Schwerstarbeit. Ob bezahlt oder unbezahlt – sie verlangt ein Maximum an persönlicher Aufopferung für jemanden, dem es immer schlechter geht, und das womöglich jahrelang. Die durchschnittliche Pflegezeit beträgt in Deutschland acht (!) Jahre. Einen Todeswunsch stante pede* zu erfüllen, ist das Brutalste und Unmenschlichste, das einem dazu einfallen kann. Freilich erspart es dem Nächsten und der Gesellschaft ein hohes Maß an seelischen und finanziellen Aufwendungen. Ja, man spart wirklich sehr viel Geld – und noch mehr Liebe.
* »stante pede« (= sofort) gilt hier auch für die wochenlange »Prüfung« des Todeswunsches durch eine Sterbehilfeorganisation, denn Wochen sind gar nichts, wenn es um seelische Prozesse und seelische Heilung geht.
]]>Sofern der Arzt nicht skrupellos ist, wird ihn der Konflikt zwischen Helfen und Töten gewaltig belasten. Dauerhaft und jederzeit. Unterschiede, die man äußerlich abschafft, verschwinden nicht. Vielmehr kehren sie als innere Spannungen in die Individuen ein und leben dort weiter. Wir müssen nun alle Rollen selbst spielen. Vielleicht versucht der Arzt den Konflikt zwischen Helfen und Töten dadurch zu entschärfen, dass er in Anlehnung an die weltfremde Gender-Sprache (»Elter 1« und »Elter 2«) von »Helfen 1« und »Helfen 2« spricht.
Irgendjemand kommt bestimmt mit dieser Lösung um die Ecke. Die Belastung des Arztes wird dadurch aber nicht geringer. Der Arzt soll plötzlich wieder etwas können, das er in der Geschichte seines Berufes (außer im Dritten Reich) weder tun musste noch tun durfte. Der Arzt, der auch Euthanasie leistet, wird bald als besonders burnout-, depressions- und suizidgefährdet gelten. Er wird Hilfe brauchen. Aber welche?
]]>Im großen Unterschied zum »Recht« auf Sterbehilfe kann das unspezifische Recht auf Selbstbestimmung vor allem eins: Ruhen. Sei es, weil die Arbeit ruft oder weil einen die Grippe ins Bett wirft. Das Recht auf Sterbehilfe kann nicht ruhen. Die Möglichkeit, sich töten zu lassen, geht von vornherein mit der Aufforderung einher, nicht »sinnlos« zu leiden. Das »Recht auf einen würdigen Tod« macht den »unwürdigen« Tod lächerlich unnötig. Um das Recht auf Sterbehilfe nicht in Anspruch zu nehmen, muss man leiden wollen. Wer will das schon? Und wer wird darauf bestehen, es zu dürfen?
Liberalität in Sachen Suizid ist keine. Wo man die Leute vom Selbstmord nicht mehr abhält, ist das Fehlen der Abhaltung von der Werbung für den Selbstmord nicht zu unterscheiden. Das Sterbehilfe-Angebot ist ein Giftbecher, der ausgetrunken werden soll. Dass wir ihn austrinken »wollen sollen«, hat mit vielem zu tun, aber nicht mit »Selbstbestimmung«. Präziser ist die Verwaltungssprache, die das »Wollen sollen« seit langem als »regulierte Selbstregulierung« kennt.
]]>»Anstelle einer Zweiklassenmedizin, in der die einen besser behandelt werden als die anderen, entsteht unter den Bedingungen der Sterbehilfe eine Zweiklassenmedizin, in der sich die einen, die den neuen Lebensbedingungen seelisch und materiell gewachsen sind, privat oder im Ausland behandeln lassen, und die anderen, die es nicht sind, sterben.«
Und schon muss ich mich korrigieren. Das war insofern noch zu kurz gedacht, als die Neigung zum Selbstmord genauso wenig vor vermögenden Leuten halt macht (siehe Gunter Sachs, Robert Enke) wie die Verführbarkeit durch Sterbehilfe. Ein Freund erzählte mir von einem reichen Pariser Ehepaar, das sich gemeinsam in der Schweiz umbringen ließ ohne ernsthaft krank zu sein, zuvor aber die Familie zu einem nachhaltig verstörenden Abschiedstreffen einlud, erster Klasse nach Zürich flog, in einem standesgemäßen Hotel abstieg und ein feines Abendessen verzehrte. Am nächsten Tag war es dann soweit.
Nein, Sterbehilfe ist deshalb »die zarteste Versuchung seit es den Wohlfahrtsstaat gibt«, weil sie sich zu Klassen- und Vermögensschranken neutral verhält. Das macht sie sozialpolitisch unheimlich attraktiv: Der Staat, der sich einer Gerechtigkeit verschrieben hat, die es eigentlich nur im Himmel gibt, hätte eine Sorge weniger, wenn ihm der »Selbstmord für alle« dabei hülfe, auf die Einführung einer Zweiklassenmedizin verzichten zu können.
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