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Zum Thema gleichgeschlechtliche »Eltern«: Bei Kindern hört der Spaß auf

Heute auf Deutschlandradio Kultur: Die Realisierung des Kinderwunsches um jeden Preis ist ein Verbrechen am Kind

Am 30. Juli hat Deutschlandradio Kultur mein Politisches Feuilleton zum »Recht auf Kinder« für gleichgeschlechtliche Paare gesendet. Meine Hauptthese: Ein Recht auf Kinder gibt es für niemanden, denn Kinder sind eine Frucht der Liebe, sie sind ein Geschenk und deshalb kein beliebig produzierbares oder zuteilungsfähiges Gut. Wer gar durch künstliche Befruchtung Gleichheit »herstellen« will, belastet die so entstehenden Kinder mit vorhersehbaren seelischen Schäden.

Immer öfter wird behauptet, dieses oder jenes gleichgeschlechtliche Paar habe »ein Kind bekommen«. Das ist natürlich glatt gelogen. Ein Kind hat einer der beiden Partner zusammen mit einem ausgeschlossenen Dritten bekommen, nach dem in den Medien nicht gefragt wird, und zwar nicht einmal dann, wenn die Mutter der ausgeschlossene Dritte ist. Nicht alle gleichgeschlechtlichen Eltern enthalten dem Kind das zweite Elternteil vor, fast immer aber tun es die Medien, die das Problem durch Schweigen rücksichtslos weglügen. In meinem Beitrag heißt es:

»Das Kind gleichgeschlechtlicher ›Eltern‹ muss ein Elternteil entbehren. Auf dessen Platz wird ihm eine Person präsentiert, mit der es nichts zu tun hat. Ähnliches kennen wir von Kuckuckskindern, Scheidungskindern und Halbwaisen. Dort gilt es aber als trauriges Schicksal. Von nun an werden diese traurigen Kinderschicksale zwecks Gleichstellung von sexuellen Präferenzen vorsätzlich herbeigeführt − ein grausames Novum in der Geschichte der Menschheit.«

Zu meinem Beitrag geht es hier. – Wer tiefer in das Thema einsteigen will, dem empfehle ich meinen kürzlich erschienenen Artikel »Herr Sibelius ist Mutter geworden« in Die Neue Ordnung, 67. Jg., Heft 3 (Juni) 2013, S. 195−206.

»Erziehung ist Vorbild und Liebe, sonst nichts«

Kleinkinder, deren Mütter ganztags und aushäusig arbeiten gehen, werden um die emotionale Grundlage ihrer Entwicklung gebracht – mit fatalen Folgen. Bericht von einer iDAF-Konferenz in München

Kleine Kinder brauchen Zuwendung. Ihre Mütter befiehlt der Staat aber »in die Produktion«. Immer mehr Frauen gehorchen dieser neuen »Verhaltenslehre der Kälte«. Wo die Liebe fehlt, erleidet der Nachwuchs lebenslange psychische und physiologische Beschädigungen. Dieses alte Wissen bestätigte jetzt mit großer Einmütigkeit eine iDAF-Konferenz zum Thema »Bindung – Bildung – Gewaltprävention«. Die von Jürgen Liminski organisierte und moderierte Tagung des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. mit rund 300 Teilnehmern fand am vergangenen Freitag im Haus der Hanns-Seidel-Stiftung in München statt. Christine Haderthauer (Bayerische Staatsministerin für Arbeit & Sozialordnung, Familie & Frauen) steuerte ein Grußwort bei. Das Programm der Tagung kann man hier nachlesen.

Eine steigende Zahl von Schülern schlägt ihre Mitschüler und Lehrer. Eine steigende Zahl von Schülern säuft, prügelt und erpresst. Sie prügelt mit einer Fühllosigkeit und Brutalität, die Staunen macht. Der Amoklauf ersetzt die Rauferei von einst, und das auch in den Ferien fortgesetzte Cybermobbing verdrängt den Wettbewerb um die besseren Noten. In dem neuen Ausmaß von Gewalt geht die Demokratie zur Tyrannis über. Kennzeichen dieses Übergangs sind schon bei Platon nicht nur die Söhne, die ihre Väter schlagen, sondern auch die Esel, die mitten auf der Straße stolzieren müssen.

Angesichts dieser Entwicklung wirkte es ein wenig überraschend, dass Peter Dathe, Präsident des bayerischen Landeskriminalamtes, in seinem Eröffnungsvortrag über Jugendgewalt in Bayern auf sinkende Kriminalitätszahlen verwies. Eine Bereinigung um den demografischen Faktor wollte er allerdings nicht einmal auf Nachfrage vornehmen. Auch wollte er nicht die Möglichkeit berücksichtigen, dass nicht die Taten selbst, sondern bloß die Anzeigen zurückgegangen sein könnten. Josef Kraus, Leiter eines Gymnasiums und Präsident des Deutschen Lehrerverbands, widersprach. Die tägliche Praxis zeige, dass die Anlässe schulischer Gewalt nichtiger werden und ihre Formen roher.

Die Alternative zur Aggression ist die Depression, die für Mitmenschen so bequeme Anspruchs- und Bedürfnislosigkeit. Dahinter verbirgt sich aber dieselbe emotionale Lähmung. Eine andere Alternative heißt »Sex oder Gewalt«. Spontane Gewaltausbrüche können innere Spannungen vorübergehend lösen, und insofern entsprechen sie strukturell der bindungslosen, promisken Sexualität, die ebenso viel Suchtgefahr birgt wie das überreaktive, leicht zur Gewohnheit werdende Zuschlagen. Wenn es um soziale und schulische Probleme von Kindern und Jugendlichen geht, um Lebensläufe, die im späteren Leben in kriminelle Karrieren übergehen können, gibt es eine Vielzahl von Lösungsansätzen. Den meisten von ihnen liegt der Gedanke zugrunde, dass man nie genug Geld ausgeben, also auch nie genug Geld einnehmen könne. Das ist reine Magie, aber eben deshalb ist sie auch sehr wirkmächtig. Viele beruhigt es offenbar ungemein, wenn sie das Fehlen von Krippen- und Kindergartenplätzen, von Erziehern, Lehrern, Psychologen und Sozialpädagogen beklagen. Und mehr Geld fordern.

Vertraut man dagegen dem überzeugenden Ergebnis der Münchener iDAF-Konferenz, dann wäre mehr Geld überhaupt nicht nötig, sondern nur eine sehr kostengünstige Rückkehr zu uraltem pädagogischem Basiswissen, vulgo Lebenserfahrung. Hirnforschung, Philosophie, Pädagogik und Psychotherapie sind sich vollkommen einig, dass die meisten Probleme von Kindern und Jugendlichen in unbewussten frühkindlichen Beschädigungen wegen fehlender oder gestörter Bindungen wurzeln, wobei die fehlende oder gestörte Mutterbindung die folgenschwerste ist. Oberarzt Karl Brisch stellte eine Formel auf, die er mit eindrucksvollen Videos aus der therapeutischen Praxis belegte: Gesicherte Bindung ermöglicht Weltbezug, nämlich Exploration. Gestörte Bindung dagegen bindet alle Aufmerksamkeit und zieht sie von der Außenwelt ab. Sie verhindert Weltbezug und Exploration. Der Hirnforscher Gerhard Roth beschrieb die entsprechenden physiologischen und chemischen Prozesse des Gehirns, in dem sich alle Erfahrungen ablagern, auch die vorgeburtlichen, als einen Wechsel von Cortisol- und Serotoninproduktion. Für den Stress brauchen wir das von der Amygdala ausgeschüttete Hormon Cortisol, zur Beruhigung das »Glückshormon« Serotonin. Cortisol- und Serotoninproduktion müssen einigermaßen ausgeglichen sein; ein negatives Serotoninsystem zieht eine defiziente Ausbildung des »Bindungshormons« Oxytocin nach sich. Schlimmstenfalls trifft ein hoher Cortisolspiegel auf viel Testosteron – das ist die Biochemie krimineller Gewalt.

Wenn die positive Bindungserfahrung fehlt, ist die Cortisol produzierende Amygdala überaktiv. Es entsteht ein ganzes Bündel von Problemen, wie Roth weiter ausführte, das besonders gut an ADHS-Kindern studiert werden kann. Die Hälfte aller ADHS-Kinder ist gewaltgefährdet, denn motorische Hyperaktivität geht häufig mit verringerter Affekt- und Impulskontrolle, mit einem Gefühl des Bedrohtseins, mit mangelnder Empathie und mit mangelndem Selbstwertgefühl einher. Eine günstige genetische Ausstattung kann die Ausprägung solcher Symptome deutlich vermindern. Wenn aber epigenetische Defizite und frühkindliche Traumatisierungen zusammenkommen, multipliziert das die negativen Auswirkungen im späteren Leben bis hin zur Psychopathologie. Notorische Gewalttäter haben meist mit tiefsitzenden Ausgrenzungs- und Beschämungserfahrungen zu kämpfen: »Hinter jeder zuschlagenden Faust steckt ein wimmerndes Herz.« Auffallend viele harte Jungs, die in kalifornischen Gefängnissen einsitzen, sind Bettnässer. Das Zuschlagen ist die Droge, die das verletzte Selbstwertgefühl kurzfristig beruhigt.

Ein Übermaß an Beschämung führt, wenn nicht in die Depression, zu aggressiver Gegenwehr. Aber eben nur ein Übermaß. Die hohe kulturelle Bedeutung der Scham ergibt sich, wie die Philosophin und Theologin Hanna Barbara Gerl-Falkovitz ausführte, aus der Uneinheitlichkeit des Menschen, aus seiner Zerrissenheit zwischen gattungshafter Animalität und Triebhaftigkeit einerseits und schutzbedürftiger Individualität andererseits: Wer nur als Gattungswesen behandelt wird – als ob er bloß die Summe seiner körperlichen Funktionen wäre –, der verliert das Gleichgewicht von Körper und Selbst. Die Triebe müssen vom Selbst kontrolliert und auf einer höheren Stufe integriert werden, um den Suchgefährdungen zu entgehen, die in ungebremster Sexualität und Gewalt schlummern. Das Selbst braucht Scham, um sich gegen die Impulse des Körpers zu imprägnieren. Scham integriert Seele und Körper. Scham schützt gegen Sucht.

Das geliebte Kind ist aber nicht nur besser vor den Abgründen des Lebens geschützt. Es hat auch mehr Kraft für das Gelingen. Gelingendes Leben setzt voraus, dass dieselben Kräfte, die ungehemmt in die Selbstzerstörung oder in die Zerstörung anderer führen, produktiv genutzt werden können: »Agape besiegt Eros, indem sie ihn erlöst.« (Denis de Rougemont) Das Gute ist in diesem Sinne viel weniger eine Frage der Moral als der Liebesfähigkeit – und damit der Liebeserfahrung. Dieses Wissen nützt nur nicht viel, wenn zu seiner Anwendung die emotionale Ausstattung fehlt. Es gibt eben Dinge, die der Mensch nicht von alleine kann. Ohne die Erfahrung elterlicher Liebe, ohne, dass sich die Persönlichkeit des Kindes im Zuge der »gemäßigten, liebevollen Beschämung durch die Eltern« (Gerl-Falkovitz) entwickelt hat, wird es dem späteren Erwachsenen schwerfallen, sich auf das schönste Versprechen irdischen Lebens zu verlassen: Dass Eros von Agape nicht mit Zwang oder Moral gefesselt werden muss, sondern mit Liebe besiegt werden kann. Genau hierauf zielen aber immer noch und weiterhin die Wünsche und Hoffnungen der Mehrheit aller jungen Leute: auf die stabile Liebesbeziehung und auf die Familie mit Kindern. Da kann die Politik noch so krampfhaft versuchen, mit Gendergetöse die Geschlechterrollen zu verwirren und den bindungsgestörten, marktflexiblen und sozialstaatsabhängigen Single als neues Vorbild zu verkaufen. Gewiss, es gibt keine perfekte Familie. Trotzdem ist die Familie die größte »therapeutische Kraft« in unserem Leben, wie der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Albert Wunsch unter Berufung auf Jesper Juul betonte.

Politik und Medien arbeiten trotzdem ungerührt am Verfall und nicht an der Lebensfähigkeit der gezeugten, nicht gemachten Familie. Die allgemeine Fixierung auf das Negative verschärft die – relativ wenigen – Probleme. Die Fixierung auf das Negative führt von der gesunden Familie weg statt zu ihr hin. Die Fixierung auf das Negative bringt zum Beispiel ein Wort wie »Kinderarmut« in Umlauf. Das ist eine Diagnose, die uns einreden will, dass man den betroffenen Kindern nur ohne ihre Eltern helfen könnte. Wer »Kinderarmut« sagt, hat die Eltern schon entsorgt. Gewiss, zehn Prozent der Eltern kümmern sich gar nicht um ihre Kinder, und weitere zehn Prozent kümmern sich zu viel. Die materiell überversorgten, aber emotional verhungernden Kinder reicher Eltern zeigen, so Brisch, übrigens oft dieselben Symptome wie ihre Altersgenossen aus den unteren Problemschichten. »Diese 20 Prozent kosten 90 Prozent unserer Energie«, sagt Josef Kraus. Es geht gar nicht um Armut. Es geht um Liebe.

Weder der Staat im Allgemeinen, noch die Schule im Besonderen können das Versagen der Eltern kompensieren. Schon gar nicht, wenn die schulischen Leistungsanforderungen und die Autorität der Lehrer jahrzehntelang verteufelt wurden. Gerade sie müssten den Kindern die wichtige Möglichkeit geben, sich zu erproben, andernfalls der Weg in die Gewalt umso kürzer wird. Die Ganztagsschule raubt wertvolle, nämlich einzigartig liebevolle Elternzeit. Die Einheitsschule überfordert ein Drittel der Schüler und unterfordert ein anderes (Kraus). Dass egozentrische Eltern froh sind, ihre Kinder so viel wie möglich los zu sein, macht die Zugriffe des Staates keineswegs besser. Besser wäre es, er klopfte den Eltern auf die Finger. Denn weder die Ganztags- noch die Einheitsschule kann die spezifisch elterlichen Pflichten und Fähigkeiten ersetzen, an denen sich seit Pestalozzis Zeiten nichts geändert hat. Sei heißen »Zeit«, »Zuwendung« und »Zärtlichkeit«: »Erziehung ist Vorbild und Liebe, sonst nichts.«

Alle gute Psychologie und Pädagogik pfeift es wie Spatzen von den Dächern, dass Kinder vor allem in den ersten drei Jahren ihres Lebens geschützte Bindung brauchen. Welche Frau, fragte Albert Wunsch, würde sich für einen Mann entscheiden, der ihr als Ersatz für Liebe eng bemessene »quality time« anböte? Schon Jean Paul wusste: »Mit einer Kindheit voll Liebe kann man ein halbes Leben hindurch die kalte Welt aushalten.« Wir sind keine Ich-AGs. Wir sind nicht als Autisten geboren. Wer in seinem Inneren auf die Suche nach sich selbst geht, findet dort nicht viel. Das Ich ist nicht innerlich. Das Ich ist exzentrisch. »Unsere Mitte liegt in einem Du«, sagt Hanna Barbara Gerl-Falkovitz. Wir stehen fortwährend unter Spannung, weil wir unseren Selbstwert nicht aus uns selbst schöpfen können, sondern auf den Zuspruch anderer angewiesen sind. Einem Menschen, dem Bezogenheit und Bindung schwerfallen, fehlt es deshalb auch an positivem und stabilem Selbstwertgefühl. Wenn 55 bis 60 Prozent aller Kinder mit sicheren Bindungen aufwachsen (Brisch), dann kann man die anderen 40 bis 45 Prozent nicht als Ausnahmen abtun. Alle sind und bleiben bedürftig: »Niemand hat je genug bekommen, und wir geben auch nie genug« (Gerl-Falkovitz).

Umso wichtiger ist es, viel zu geben, vor allem Kleinkindern. Davon, ob sie genug Liebe bekommen haben, hängt in ihrem späteren Leben ihre Liebes- und Arbeitsfähigkeit ab, also alles. Auch das Arbeitsleben kommt übrigens nicht ohne geordnete und verlässliche Beziehungen aus, die schwerlich geordnet und verlässlich sein können, wenn im privaten Leben die Liebe fehlt oder gefehlt hat. Kleinkinder, die widersprüchlichen Impulsen ausgesetzt sind, erstarren. Andere, denen sich die Mutter entzieht, zeigen promiskuitives Verhalten. Sie bieten sich schlichtweg jedem an, der in ihre Nähe kommt, wenn auch nicht aus sexuellen Gründen – oder noch nicht. Schon Kleinkinder können die schrecklichsten, subjektiv niemals aufhörenden Ambivalenzen erleben, wenn ihre Eltern eine gestörte Beziehung zu ihnen unterhalten. Jedwede Gemeinschaft, die ihrer eigenen Zukunft lebt, weiß das. Trotzdem gibt sie möglichst viel Verantwortung den niemals perfekten Eltern, weil deren Liebe mehrheitlich instinktsicher, am wenigsten missbräuchlich und unersetzlich ist.

Während die klassische Familie immer mehr diffamiert wird, konfrontiert uns die demografische Krise mit wachsenden quantitativen und qualitativen Nachwuchsproblemen, die die Zuwanderung nicht lösen kann. Unser Staat ignoriert die demografische Krise ja nicht nur. Er verschärft sie, indem er daran arbeitet, Kleinkindern die mütterliche Liebe vorzuenthalten und bereits erwachsene Bürger bindungslos, krank und verrückt zu machen. Wenn die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in ihrer Kampagne »Mach’s mit« oberflächlich für die Benutzung von Kondomen, tatsächlich aber für egozentrischen, bindungslosen Geschlechtsverkehr wirbt, wenn sie bundesweit nicht nur für schnellen Sex und Promiskuität, sondern auch für gestörte Beziehungen wirbt, in denen der double bind regiert und ein höchstens siebzehnjähriges Mädchen, das »es« angeblich »soft« will, mit düsterem Blick und bandgierten Fäusten droht, wenn also eine »Gesundheitszentrale« (dieser Hohn ist kaum zu überbieten) solche Kampagnen inszeniert, dann setzt sie nicht nur auf gestörte Beziehungen, sondern auch auf gestörte Persönlichkeiten.

Sex ohne Bindung reicht offenbar nicht. Es reicht offenbar nicht, dass es leichter ist, mit jemandem zu schlafen, als ihn nach seinem Namen zu fragen, wie Botho Strauß schon im Jahre 1989 in Über Liebe schrieb. Das birgt im Gegenteil die Gefahr, süchtig zu werden, vom verzweifelt Gesuchten ausgesaugt und zerstört zu werden. Wozu sollten wir uns unserer Begierde unterwerfen? Wozu sollten wir andere zu Objekten unserer Begierde machen? Warum wird gleichzeitig der harmloseste Flirt als »Sexismus« verteufelt? Wie dem auch sei, jene jungen Frauen, die sich massenhaft schlitzen, die sich tätowieren und piercen lassen, tun genau das, was die Bundesgesundheitszentrale offenbar von ihnen erwartet: Sie hassen statt zu lieben, vor allem sich selbst. Nach demselben Muster, das der Kodomwerbung zugrunde liegt, müsste die Bundeszentrale auch für Gewalt als Mittel der Konfliktlösung werben. Gewalt geht, genau wie Sex, aber im Unterschied zur Liebe, wunderbar schnell. Nach der zeitsparenden Triebabfuhr stünde der unverzüglichen Rückkehr an den Arbeitsplatz nichts im Wege.

Trotz der Verrücktheiten unserer Tage gehört zu der unumstößlichen Ordnung, in und von der wir leben, das gar nicht so neue Wissen darum, wie sich eine Vielzahl sozialer Probleme vermeiden ließe, mit denen Eltern und Lehrer zu kämpfen haben, bevor ihnen Polizisten, Gefängniswärter und Psychiater die schwersten Fälle abnehmen.  Wo Partnerschaftsprobleme künstlich gezüchtet werden, lassen Erziehungsprobleme nicht lange auf sich warten. Erziehungsprobleme führen wiederum zu Partnerschaftsproblemen. »Aus beidem zusammen entstehen Problemkinder, die mit Aggression oder Depression auf sich aufmerksam machen.« (Wunsch) Liebevolle Eltern sind unersetzlich (Kinder hören zwar nicht auf sie, machen ihnen aber alles nach). Die meisten Eltern sind liebevoll, und viele andere könnten es mit ein paar guten Ratschlägen sowie mit weniger Zeit- und Konsumdruck bestimmt leicht werden.

Die drei Imperative für elterliche Liebe und Erziehung lauten »wohlwollend«, »vorlebend« und »konsequent«: »Konsequenz ohne Wohlwollen ist Härte, Konsequenz ohne Vorleben ist Lüge, und Wohlwollen ohne Konsequenz ist Feigheit.« (Albert Wunsch) Wer von den eigenen Eltern weder geliebt noch gefordert wird, sucht sich Anerkennung und Herausforderung bei der »Peergroup«, im politischen Extremismus oder im Islam. Ein grausamer Staat, der alles daran setzt, ganzen Generationen die frühkindliche Mutterliebe zu entziehen, überschätzt seine Möglichkeiten seelischer Reparatur. Um von dem Zynismus nicht zu reden, der sehenden Auges die Reparaturbedürftigkeit riskiert. Der Staat muss selbst für eine Betreuung sorgen, die im Vergleich zur Mutter- und Elternliebe immer nur minderwertig sein kann. Später muss er unendlich viel Aufwand in die oft vergeblichen Heilungsversuche frühkindlicher Beschädigungen stecken. Der einzig gesunde Betreuungsschlüssel, der nach dem spontan zum »Bindungsguru« ernannten Karl Brisch bei höchstens drei Kindern durch einen Erwachsenen liegt, ist in großem Stil unbezahlbar. Selbst wenn er bezahlbar wäre, könnte er nicht die jahrelange Bindung an dieselbe Bezugsperson sicherstellen. Dabei wäre alles so einfach: Liebe, Liebe und nochmals Liebe. »Emotionen sind die Architekten des Gehirns«, zitierte Jürgen Liminski den amerikanischen Bindungsforscher und Kinderarzt Stanley Greenspan. Mit Liebe geht alles. Ohne Liebe geht nichts.

Kultur war gestern. Heute opfert der Westen seine Kinder

Der Zivilisationsbruch ist da. Die Welt, die dem Wohl von Kindern den Vorzug gab, war die Welt von gestern. Im Zuge der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare soll das Wohl der Kinder von nun an dem vermeintlichen Wohl von Erwachsenen geopfert werden. Gleichstellung zieht seelische Beschädigung von Kindern nach sich.

Bis zum Sommer 2013 gab es einen einigermaßen konstanten kulturellen Konsens weltgeschichtlichen Ausmaßes. Die Behütung und Erziehung von Kindern durch ihre eigenen Eltern galt als der beste Lebensraum – für die Kinder. Jedenfalls bis auf wenige Ausnahmen, die das Prinzip selbst nicht in Frage stellten, sondern bestätigten. Denn für ein Volk, eine Kultur oder eine Gesellschaft gilt: Wer dem Wohlergehen der Kinder nicht den Vorrang gibt, riskiert ihr Wohl und hört früher oder später auf zu existieren. Wo bislang die Homosexualität gefördert wurde, ging es stets um den politischen Willen, die Zahl der Nachkommen zu begrenzen, warum auch immer. Wo man das nicht wollte, blieb die Homosexualität marginal. Das Widersprüchlichste auf Kosten des Kindeswohls rechtlich zu verbinden, nämlich die Homosexualität und den Kinderwunsch, kann nur einer Kultur einfallen, der die Wesenhaftigkeit beider Lebenstatsachen gleichgültig ist. Diesen Satz könnten auch viele Homosexuelle bestätigen. Der alte Konsens, nennen wir ihn den Primat des Kindes, war gelegentlich gefährdet, sodass er immer wieder verteidigt werden musste. In unseren Breiten waren es zuletzt die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts, die ihn mit Füßen traten und zu beseitigen versuchten. Aber der Konsens hat überlebt. Fast überall auf der Welt steht er mit der selbstverständlichen Lebenspraxis der meisten Menschen und ihrer Familien im Einklag. Bis heute.

In der westlichen Welt ist es mit dieser Selbstverständlichkeit jetzt vorbei. Die europäischen und nordamerikanischen Medien beklagen zwar den terroristischen Islamismus (dem auch Kinder zum Opfer fallen), sie beklagen die Armut in Afrika (an der auch Kinder leiden und sterben) und sie beklagen den Kindesmissbrauch in den eigenen Ländern. Sie beklagen aber nicht, dass »der Westen«, der sich gern zur »Weltgemeinschaft« aufbläst, anmaßend, hochmütig und gewalttätig wird. Sie beklagen nicht, dass der Westen mit seiner eigenen Kultur und Zivilisation, mit den natürlichen Voraussetzungen seiner Zukunft und der Zukunft aller Menschen selbstmörderisch bricht. Sie beklagen nicht, dass er dem Rest der Welt im Namen der »Gleichheit« ein unmenschliches und abstoßendes Schauspiel liefert. Sie beklagen nicht, dass er die Grundgesetze von Naturvölkern, Weltreligionen und  Hochkulturen, ja, die Lebensregeln aller kultivierten Völker mit Füßen tritt. Sie beklagen nicht, dass der Westen derejenige ist, der den Rest der Welt verstört, indem er ihn zu Abscheu und Verachtung zwingt.

Nein, leider übertreibe ich nicht. In dieser Woche wurde bekannt, dass der Oberste Gerichtshof der USA die Rechte von homosexuellen Paaren gestärkt habe. Die Richter hatten geurteilt, dass die Privilegierung der traditionellen Ehe von Mann und Frau im Steuer- und Erbrecht unzulässig sei. Ein entsprechendes Bundesgesetz wurde für verfassungswidrig erklärt. Zur Begründung hieß es, die Regelung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Derart von unserer Schutzmacht ermutigt, brauchte der Deutsche Bundestag nicht länger zu zögern. Er beschloss gestern, im Hinblick auf das jüngst gefällte Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Ehegattensplitting auf gleichgeschlechtliche Paare rückwirkend bis zum Jahr 2001 auszudehnen. Das volle Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ist noch nicht beschlossen, aber auch das wird kommen. Die staatliche Finanzierung von künstlicher Befruchtung und Leihmutterschaft sind noch nicht oder noch nicht bundesweit beschlossen, aber auch sie werden kommen.

Nachkommenschaft ist damit nicht länger eine Frage der persönlichen Verantwortung und Lebensführung. Kinder sind ab jetzt Objekt und Produkt staatlicher Zuteilung. Die Zuteilung findet nicht länger im Not- oder Ausnahmefall statt wie beim vorzeitigen Tod der leiblichen Eltern, sondern vorsätzlich zum Wohle einer als »gleichgeschlechtlich« bezeichneten Gruppe von Erwachsenen, die auf diese Weise einerseits ganz unscharf bestimmt, andererseits durch ihre wachsenden Privilegien um so schärfer abgegrenzt wird. Es handelt sich um eine Gruppe, von der man nicht einmal weiß, ob sie keine Kinder zeugen kann oder will. Nicht einmal das wissen wir. Die einfachste Frage wird nicht gestellt.

Der Deutschlandfunk kommentierte das amerikanische Urteil sinngemäß derart, dass gleichgeschlechtliche »Eltern« für Kinder genauso gut und wertvoll seien wie herkömmliche Eltern auch. Dazu fällt mir der Mitarbeiter Stalins ein, der auf den Deportationslisten eines Tages den Namen seiner Frau fand und von Stalin väterlich beruhigt wurde. In der Tat machte ihm noch am selben Abend eine andere Frau die Tür auf … So eine Welt muss man aushalten können. Elmar Kraushaar verstieg sich in der Berliner Zeitung zu dem todessüchtigen Satz: »Homosexualität bleibt so lange außen vor, solange es Heterosexualität gibt.« Richtig, aber wenn dieser Fall einträte, den er sich offenbar herbeiwünscht, würde es bald darauf überhaupt keine Menschen mehr geben. Um von jeglicher Sexualität ganz zu schweigen. Dieser Preis erscheint Herrn Kraushaar als nicht zu hoch. Was schließen wir daraus? Wer ist hier eigentlich aggressiv? Erst durfte die Fruchtbarkeit nicht mehr das Kriterium sein, das die einzig wertvolle Form von Sexualität von weniger wertvollen Formen schied: »Die normalen Leute kriegen ja auch immer weniger Kinder.« Ich weiß – wer solchen Schwachsinn kommentiert, begibt sich auf dessen Niveau. Aber sei’s darum. Es muss ja leider gesagt werden: Man tut so, als ob die Kinderlosigkeit, nur weil es sie gibt, auch schon begrüßenswert und förderungswürdig wäre. Dann fällt denselben Leuten, die Kinderlosigkeit vorbildlich finden, plötzlich auf, dass es, obwohl sie die Kinderlosigkeit im Geiste längst gleichgestellt und das Vorhandensein von Kindern für unbeträchtlich erklärt haben, immer noch Kinder gibt.

Und nun wollen sie auch welche, obwohl die Kinderlosigkeit das tertium comparationis ihrer »Gleichheit« ist. Um welche zu bekommen, wollen sie das Kindermachen den anderen Leuten aber nicht einfach nachmachen. Die ganz normale Art des Kindermachens kommt für sie aus Gründen ein und desselben Gleichheitsgedankens offenbar nicht in Frage. Eine womöglich gelebte und nicht nur behauptete Gleichheit darf die Leute ja nicht um ihre wertvolle Ungleichheit bringen, die allein es ihnen ermöglicht, alle Mängel ihrer Lebensweise durch Forderungen an Staat und Gesellschaft auszugleichen. Es geht nicht darum, gleich zu sein, sondern gleich und ungleich zugleich. Sodass man immer auf beiden Hochzeiten tanzen kann, auch dann, wenn es gar keine Hochzeiten mehr zu feiern gibt. Um der Gleichheit willen (und unter Berücksichtigung der unverzichtbaren Ungleichheit) müssten also künftig alle Kinder aus künstlicher Befruchtung entstehen oder vom Klapperstorch geliefert werden. Was sie offenbar schon geschieht, weil ja, wie Bernhard Lassahn in seiner neuesten Intervention festgestellt hat, die natürliche Zeugung durch Mann und Frau, wenn auch aus anderen Gründen als damals, heute wieder nicht angesprochen werden darf, um von einer etwaigen Bevorzugung vor anderen Methoden ganz zu schweigen. Nein, ausgerechnet Die Grünen versprechen uns für den Fall ihrer nächsten Regierungsbeteiligung, nachdem sie uns schon zum Schutz der Natur die Industrialisierung der Landschaft durch Windräder beschert haben, den medizintechnischen Menschenpark. Die entsprechenden Firmen werden sich freuen. Wer bezahlt eigentlich die Grünen?

Klar, wenn Familie überall da ist, »wo es Kinder gibt« oder »wo alle aus demselben Kühlschrank essen«, dann sind »Eltern« ganz einfach irgendwelche Erwachsenen, die gerade mit Kindern zusammensind, warum oder seit wann auch immer. Ein homosexuelles Paar, das mit technischer Hilfe zu »Eltern« wird, hat aber einen Dritten im Bunde, der zurücktreten muss: den anderen biologischen Elternteil. Vater Samenspender oder Mutter Eizellspenderin, um von der Leihmutter zu schweigen, überlassen dem zahlenden Elternteil und seinem gleichgeschlechtlichen Partner, demnächst mit staatlicher Unterstützung, das Familienfeld. Das umgebogene Wort »Familie« vertuscht genau an der Stelle eine krasse Ausgrenzung, wo es super integrativ zu klingen scheint. Die komplette Hälfte der allerengsten Verwandtschaft des Kindes (neben Vater oder Mutter auch die dazugehörigen Großeltern sowie leibliche Tanten, Onkel,  Cousins, Cousinen usw.) wurde schon ausgeschlossen, bevor die Familie überhaupt zustande kam. Wenn diese von vornherein ausgeschlossene allerengste Verwandtschaft es sich plötzlich anders überlegt, wird das homosexuelle Stiefelternteil seine womöglich hochbezahlten »Rechte« mit Zähne und Klauen verteidigen müssen.

Das Wort »Familie« ist, wie die Wörter »Ehe«, »Eltern« und »verheiratet«, schon jetzt zu einem unbrauchbaren Dunkelwort verkommen, bei dem man nicht mehr weiß, wovon eigentlich die Rede ist. Die Medien, die es sich leisten können, lügen sogar bewusst, um den Eindruck zu erzeugen, es gäbe so etwas wie natürliche gleichgeschlechtliche Eltern, und die gäbe es umso sicherer, je geheimnisvoller die Wege sind, auf denen sie »ihre« Kinder bekommen. Deshalb die neue Konjunktur des Klapperstorchs. Diesen ganzen Popanz kann man behaupten und auch mitmachen, den Preis aber zahlen die Kinder. Das Kind gleichgeschlechtlicher »Eltern« muss mindestens ein Elternteil entbehren. Auf dem Platz des fehlenden Elternteils wird ihm nicht etwa aus Not, sondern zum erklärten Wohle des vorhandenen homosexuellen Elternteils eine Person präsentiert, mit der es nichts zu tun hat. Ähnliches kennen wir von Kuckuckskindern, Scheidungskindern und Halbwaisen. Dort gilt es aber – oder galt es bisher – als trauriges Schicksal. Von nun an werden diese traurigen Kinderschicksale zwecks Gleichstellung von sexuellen Präferenzen vorsätzlich herbeigeführt, ein grausames Novum in der Geschichte der Menschheit.

Diese Feststellung ist aber offenbar nur noch ein schwaches Argument gegen die wie selbstverständlich erscheinenden Zumutungen, die man den Kindern vorbehält. Ihre Not ist der wahre Preis für den Selbstbetrug der Erwachsenen. Körperliche Kinderarbeit wird durch seelische ersetzt. Unsere elternverrückenden, also gewollt verrückten Verhältnisse sind schon so weit fortgeschritten, dass all das ziemlich widerspruchslos geschehen kann. Deshalb wird auch mein weitergehendes Argument nicht viel nützen, das den Blick in den wahren Abgrund dieser Vorgänge eröffnet. Wir kennen das Problem von der Abtreibung. Das Leid von Frauen, die abgetrieben haben, aber ihre Entscheidung lebenslang bereuen, muss unter den Tisch fallen. Das Leid der Kinder, die den Abtreibungswunsch ihrer Mutter aus irgendwelchen Gründen überlebt haben, muss auch unter den Tisch fallen. Wovon spreche ich? Wenn die Abtreibung prinzipiell erlaubt und möglich ist, beschädigt sie auch das nicht abgetriebene Leben in der Fraglosigkeit seiner Würde und Daseinsberechtigung.

Die Mutter, die da hätte abtreiben können, es aber nicht getan hat, gerät in die kaum beherrschbare Versuchung, ihren Abtreibungsimpuls auf Dauer zu stellen und dem Kind das Leben überall dort zu Hölle zu machen, wo das Leben des Kindes ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen in die Quere kommt. Von ernsten Problemen, die das Kind verursachen könnte, ganz zu schweigen. Das Kind läuft große Gefahr, seelische Störungen und Probleme bis hin zur Suchtgefährdung und Selbstmordneigung zu entwickeln. Die Selbstverständlichkeit von Abtreibung beschädigt das Lebensgefühl aller Kinder, denn Kinder brauchen nichts nötiger als fragloses Angenommensein und selbstverständliche Liebe. Das Problem, um das es hier geht, ist nicht, dass es diese Liebe hier und da nicht gäbe, aus welchen Gründen auch immer. Das Problem ist, dass diese Liebe ausdrücklich für verzichtbar erklärt wird, wo es um die »Selbstbestimmung« von Erwachsenen geht. Die fraglose, selbstverständliche Liebe zu Kindern um der Kinder willen wird in Zeiten massenhafter, staatlich geförderter Abtreibungspraxis Mangelware – bei allem Verständnis für manch schweren Einzelfall, in dem die Abtreibung begründet sein mag.

Diese Erfahrung muss dringend auf die Konstruktion gleichgeschlechtlicher »Familien« übertragen werden. Wenn das Schicksal von Scheidungskindern, Adoptivkindern und Halbwaisen nicht länger die bedauernswerte Ausnahme bleibt, sondern zum emanzipationspolitisch gewünschten Glücksfall umgelogen wird, was dann? Auf welches Verständnis, auf welches Mitleid, auf welche Einfühlung und auf welche Schonung dürfen dann jene Kinder noch rechnen, die auf herkömmliche Weise ein Elternteil oder gar beide auf einmal verlieren? Wird man ihnen sagen: »Hör zu, dein Klassenkamerad Peter hat zwei Väter, der hatte nie eine Mutter, und was der kann, das kannst du auch, hör schon auf zu heulen«? Mitleid mit Scheidungs- oder Halbwaisenkindern müsste künftig als Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Familien verurteilt und verboten werden. Ein entsprechendes Schuldgefühl wäre das mindeste.

Es wäre nicht das erste Schuldgefühl, mit dem wir unseren »Kulturfortschritt« bezahlten. Das tiefste und natürlichste Bedürfnis von Kindern, nämlich von ihren eigenen Eltern gehütet, geliebt und geborgen zu werden, dürfte nicht länger für wertvoll angesehen werden, weil es den gleichgeschlechtlichen Familien ein ständiger Dorn im Auge wäre, eine ständige Anklage, ein permanenter Hinweis auf das geplante, gewollte und staatlicherseits für gut befundene Defizit homosexueller Elternschaft. Es wird nicht nur eine neue Ungleichheit unter Kindern geben – jene mit ihren natürlichen und jene mit ihren juristischen Eltern, die man für ihre natürlichen ausgeben wird –, nein, es wird auch eine Diskriminierung von Kindern geben, die noch mit ihren natürlichen Eltern aufwachsen, weil sie es sein werden, die den Fortschritt beständig an die Leichen erinnern, die er in seinem eigenen Keller zu liegen hat.

Der Schriftsteller Mario Vargas Llosa schreibt in seinem Buch Alles Boulevard (S. 67), das kolossale Vorurteil unserer Tage bestehe darin, eine Sache, bloß weil es sie gibt, als gleichwertig anzusehen. Mit diesem Vorurteil bezahlen wir den Abschied von allen anderen Vorurteilen, während wir die Fähigkeit verlieren, uns noch zu irgendeinem gesunden Urteil aufzuraffen. Zu diesem Problem gehört die vorurteilsbewehrte »Gleichwertigkeit« gleichgeschlechtlicher »Elternschaft«, die allem Wissen über zarte Kinderseelen Hohn spricht. Viele dieser Kinder werden es in ihrer Entwicklung sehr schwer haben und zwar nur deshalb, weil Mama oder Papa nicht auf das andere Geschlecht »stehen«. Oder nicht nur. Oder nicht mehr. Diese Kinder werden aber, als brave Kinder ihrer Eltern, alle Defizite ihrer Lage in höchst persönliche Schuldgefühle zu verwandeln wissen, wie Bertrand Vergely betont hat. Früher sagte man: »Bei Kindern hört der Spaß auf.« Heute hört das Glück von Kindern mit Rücksicht auf den Spaß von so genannten Eltern auf. Heute hört das Glück von Kindern mit Rücksicht auf ein Phänomen auf, vor dem herkömmliche, liebevolle und nicht narzisstisch mit sich selbst beschäftigte Eltern gesunderweise die Augen verdrehen. Wenigstens dann, wenn es um Kinder geht.

Wer den Ausschluss eines Elternteils aus eigener Erfahrung kennt, der weiß: Wir haben es mit seelischen Beschädigungen zu tun, die nicht länger auf ein Minimum begrenzt, sondern von staatlicher Seite juristisch gedeckt und finanziell gefördert werden. Wir haben im Zuge solcher Gleichstellungsmaßnahmen nichts Geringeres verwirkt als das Recht, uns noch über irgendeinen terroristischen Anschlag irgendwo auf dieser Welt zu empören. Wir verfahren nicht weniger rücksichtslos als jene, die ebenfalls mit zweifellos »guten« Absichten Menschen, Häuser und Autos in die Luft jagen. Wir jagen die gesunde, normale Familie in die Luft, nicht mit Bomben, aber mit Gesetzen, die dem Leben feindlich sind und der Schöpfung und Erneuerung von Leben auch.

Wir machen unsere Kinder krank und verrückt, wenn wir sie zwingen, unsere Verrücktheiten als ein neues Gut zu bejahen. Wir machen kranke und verrückte Kinder, wenn wir sie von anderen und anderswo produzieren lassen. Wozu muss das sein? Doch nicht, damit Männer Männer lieben dürfen und Frauen Frauen. Das dürfen sie fast überall. Selbst Nigeria kämpft offenbar nur gegen Homosexualität in der Öffentlichkeit und mehr noch gegen Bevormundung durch den Westen. Eine Gesellschaft, die die folgenlose, weil unfruchtbare Sexualität gleichstellt, stellt die Folgenlosigkeit und Unfruchtbarkeit der Folgenhaftigkeit und Fruchtbarkeit gleich, sie stellt Nichtleben und Leben gleich, sie stellt Tod und Leben gleich. Eine Gesellschaft, die das tut, will nicht mehr leben. Mindestens soll sie nicht mehr leben wollen. Es geht nicht um Gleichheit, es geht um Leben und Tod. Wilde Liebe und wilde Sexualität waren schon immer Liebe zur Liebe und nicht Liebe zur geliebten Person. Liebe zur Liebe ist in Wahrheit Liebe zum Hindernis der Liebe. Ist Liebe zur Unmöglichkeit von Liebe. Ist Liebe zur Unmöglichkeit zu leben. Ist Liebe zum Tod (vgl. Denis de Rougemont, Die Liebe und das Abendland, Köln/Berlin 1966; frz. Originalausgabe von 1939).

An dem Preis, den die Kinder zahlen sollen, könnten wir ablesen, dass auch Erwachsene nicht alles dürfen, was ihre Triebe oder Impulse ihnen als Wunsch oder Wille einreden. Die Kinder der westlichen Welt können sich ihrer natürlichen Eltern nicht mehr sicher sein, weil sie nicht mehr sicher sein können, dass das Zusammenleben von Kindern mit ihren natürlichen Eltern verlässliche private und öffentliche Wertschätzung erfährt, dass es geschützt oder wenigstens bevorzugt wird: »Wir wollten mit den Eliten aufräumen, denn das Privilegierte, Abwertende, Diskriminierende (…) war uns moralisch zuwider, und im Laufe der Zeit haben wir auf verschiedene Weise diese exklusive Bande von Schulmeistern, die sich für etwas Besseres hielten, (…) aufgerieben. Aber was wir erreicht haben, war ein Pyrrhussieg, ein Heilmittel, das schlimmer ist als die Krankheit: zu leben in einer verwirrten Welt, in der paradoxerweise, weil niemand mehr weiß, was sie eigentlich bedeutet, Kultur nun alles ist und nichts.« (Mario Vargas Llosa, Alles Boulevard, S. 69 f.)

Das Wichtigste und Kostbarste, was Kinder überhaupt haben – wenn schon nicht die Liebe der eigenen Eltern, dann wenigstens die eigenen Eltern –, eben das wird von Staat, Politik und Medien mit Füßen getreten. Staat und Gemeinwesen werden von nun an der Behütung und Erziehung durch die leiblichen Eltern nicht mehr den klaren Vorzug geben müssen, wollen oder können. Die Welt, die dem Wohl von Kindern den Vorzug gab, war die Welt von gestern. Die Welt von morgen ist eine bizarre, grausame Welt, die die Schicksale von Scheidungskindern, Kuckuckskindern und Halb- oder Vollwaisenkind zu einem erstrebenswerten, wünschenswerten und emanzipationspolitisch kostbaren Vorfall macht.

Eine Welt, die das tut, muss das wollen, andernfalls sie es nicht tun würde. Wenigstens würde sie es tun, ohne es zu feiern, wenn sie es nicht wollte und dennoch für notwendig befände. Was für eine Welt das ist, in der wir von nun an leben werden, verrät uns die Frankfurter Rechtsprofessorin Ute Sacksofsky in einer Rechtskolumne, die im Juni-Heft der Zeitschrift Merkur erschien und hier online gelesen werden kann. Da erfahren wir nicht nur, »dass es um die Weitergabe deutschen Erbguts  nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht mehr gehen kann«. Das wussten wir schon. Die »deutsche Kultur«, wozu Frau Sacksofsky immerhin deutsche Weihnacht, deutsche Volkslieder, die Liebe zu Wald und Bier, die Romantik und die Currywurst einfällt, habe, sagt sie, ihre Prägekraft verloren, sodass es keinen Grund gebe, sie unter »Artenschutz« zu stellen.

Diese Bodenlosigkeit ist der wohlbestallten Professorin und Richterin aber noch nicht bodenlos genug. Frau Sacksofsky tut es offenbar nicht unterhalb der vollständigen Verachtung ihres eigenen Lebenszusammenhangs: »Die Steigerung der Geburtenrate ist kein legitimes staatliches Ziel.« Geburt auf der einen Seite sowie Verhütung und Abtreibung auf der anderen sollen eine gleichgewichtige Alternative bilden. Grundrechtliche Freiheit verlange, dass der Staat sich seines Einflusses enthält, mithin neutral ist. Anreize, insbesondere Anreize zur Nachwuchsförderung, seien mit der Neutralität des Staates nicht kompatibel, folglich verfassungswidrig. Den Rest ihres Beitrags widmet Frau Sacksofsky dem offenbar gerechtfertigten Neid (ist es der Neid anderer oder ihr eigener?) auf »Reiche« und Kinderreiche, insbesondere natürlich auf die staatliche Förderung von Kinderreichen, von der »Reiche« angeblich besonders profitieren. Dabei sei das gar nicht nötig, schließlich brauche man nicht für jedes neue Kind einen neuen Kinderwagen.

Das »Neutralitätsgebot« würde bereits der Staat verletzen, der ein Interesse an seinem eigenen Fortbestehen hätte: »Der Staat ist die Selbstorganisation eines Volkes; wenn es kein Volk mehr gäbe, wäre der Staat überflüssig.« Der Satz ist ja nicht falsch. Wie klang der Gedanke bei Elmar Kraushaar? – »Homosexualität bleibt so lange außen vor, solange es Heterosexualität gibt.« Auch dieser Satz ist nicht falsch. Wenn aber etwas wertvoll ist, nur weil es vorkommt, dann kann auch das Nichtvorkommen wertvoll werden. Also das Nichts. Wäre es besser, der »neutrale« Staat gäbe Geld für das Nichts – und nicht für Kinder? Wenn der Westen so weitermacht, wird ihn der große Rest der Menschheit nicht nur zu Recht verachten, bekämpfen und besiegen. Er wird ihn ganz zuletzt auch vergessen. Einen Herrn Kraushaar und eine Frau Sacksofsky, die sich darüber freuen würden, wird es dann längst nicht mehr geben. Ganz zu schweigen von all den anderen, die wegen dieser vom »neutralen« Staat verordneten Gleichgültigkeit, ja Gewissenlosigkeit gegenüber dem Wohl von Kindern abgetrieben, seelisch verkrüppelt oder gar nicht erst gezeugt wurden. Wenn die selbsternannten Weltverbesserer früher von sich sagten, sie seien die Leute, vor denen ihre Eltern sie immer gewarnt hätten, dann müssten sie heute sagen: »Wir sind die Leute, vor denen unsere Eltern uns noch geschützt haben.«

Wer wird die Kinder vor den Leuten beschützen, die jetzt das Sagen haben? Wenn doch wenigstens der Hochmut nicht wäre. Wer diese rücksichtslose Gleichstellungspolitik zukunftsweisend findet und gutheißt, der bilde sich nicht länger ein, er diente dem globalen Fortschritt der Menschheit. Er bilde sich nicht ein, er wäre noch irgendjemandem auf dieser Welt moralisch überlegen. Das ist er nicht. Das Recht, an irgendetwas irgendwo auf der Welt aus moralischen Gründen zu appellieren, hat er spätestens von heute an verwirkt. »Der Westen« ist derjenige, der die Menschheit gefährdet, der ihren Gemeingeist aufkündigt, der die Menschheit verrät. Das wird sich bitter rächen. Der hochmütige Glaube, der Wahn, das Tor zu einer neuen Zeit aufgestoßen zu haben, wird uns teuer zu stehen kommen.

***

Zum kommenden Umbau des Adoptionsrechtes, das bisher für Kinder da war und von nun an »für« bestimmte Erwachsene da sein soll, habe ich soeben in der Zeitschrift »Die Neue Ordnung« einen Artikel veröffentlicht, den man hier online lesen kann.

Persönlich frech, aber geistig servil

Wer antisemitisch sein darf. Warum sich die Mehrheit über die Mehrheit täuscht. Warum »Vielfalt« Selbstabschaffung bedeutet. Warum es ohne Transzendenz keine Meinungsfreiheit gibt. Warum mehr Autonomie weniger Moral bedeutet usw. – Fünf Splitter vom verregneten Sonntag

Es gibt Sätze, die so klingen, als hörte man sie zum ersten Mal. Neulich sagte der Redakteur einer großen Hamburger Zeitung zu mir am Telefon: »Wir weißen Männer müssen schauen, das wir keine schlechten Verlierer sind.« Ich fiel fast vom Stuhl: Stell dir vor es war Krieg, und keiner hat es dir gesagt. Zum Mitmachen ist es zu spät, zum Siegen erst recht … Habe ich den Satz mit den weißen Männern hier schon zitiert? Egal. Das Zitat ist es wert, wiederholt zu werden, weil es in einzigartiger Weise die mit dem Modewort »Diversität« einhergehende Lüge aufdeckt. »Diversität« bedeutet nämlich in Wahrheit »Konformismus«. Norbert Bolz hat das gut erklärt: »Wir haben es mit einer schlichten Inversion des Kulturchauvinismus zu tun. Der Westen gilt nichts, Asien und Afrika sind Vorbilder. [Anmerkung des Bloggers: natürlich nicht in realiter, was die Fähigkeit zur Grausamkeit (in Afrika), die Fähigkeit zur Disziplin (in Asien) und die strenge Gültigkeit sittlicher Prinzipien (in Afrika und Asien) betrifft. Die außereuropäischen Vorbilder sind invertierte Vorbilder. Sie haben eine rein negative Funktion.] Diversität heißt also: alle minus eins. Und dieses Eine ist die westliche Kultur der weißen Männer. So wird das Anderssein zur Zwangsjacke.« Zweite Anmerkung des Bloggers: Mangels positiver Bestimmung wird das Anderssein zur Zwangsjacke des Nichtseins. »Anderssein« ist zu übersetzen mit »Am-besten-gar-nicht-mehr-Sein«. Nein, Verschwinden ist auch keine Lösung. Wir weißen Männer müssen nicht schauen, dass wir verschwinden, sondern dass wir bleiben und uns verteidigen. Unser geheuchelter Verzicht (»Wir Deutsche kennen nur noch europäische Interessen«) kommt bei niemandem gut an, nicht einmal bei denen, die davon profitieren und uns für unser absichtliches Verlierertum höchstens verachten. Erkennen wir die Lage! Verzichten wir auf den verlogenen Edelmut der Inversion!

Noch ein Satz, der so klingt, als hörte ich ihn zum ersten Mal. Der Schriftsteller und Nobelpreisträger Imre Kertész schrieb am 6. August 2001 in seinem Tagebuch: »Die Offenbarung am Berg Sinai hat mit dem, was in Auschwitz offenbar geworden ist, ihre Geltung verloren.« (Sinn und Form, 3. Heft 2013, S. 302) Der gebürtige Jude betrachtet Auschwitz nicht nur als Gegenoffenbarung, sondern als siegreiche Gegenoffenbarung – und nicht nur er. Schließlich handelt es sich um den ersten Glaubenssatz des säkularen Juden- und Christentums nach 1945. Die jüdische Orthodoxie »glaubt« bis heute nicht an Auschwitz und lehnt die »Einzigartigkeit« des Holocaust ab. Denn die Einzigartigkeitsthese verlangt einen konkurrierenden Offenbarungsglauben, der mit der Messiaserwartung kollidiert. Bemerkenswerterweise wird das orthodoxe Judentum bei uns (zum Beispiel im Deutschlandfunk) seit einiger Zeit regelmäßig als »ultra-orthodox« bezeichnet (wegen seiner israelischen Siedlungspolitik, aber das ist nur ein beliebiger Anlass:) Bei dem Etikett »ultra-orthodox« handelt es sich um eine unfreundliche und ablehnende Steigerung von »orthodox«, die nicht näher erläutert werden muss, die sogar die Gefahr der Verunglimpfung von Juden in Kauf nimmt. Wer »ultra-orthodox« sagt, riskiert eigentlich den Antisemitismusvorwurf. Aber er tut es eben nur uneigentlich. Er lebt sogar in der ruhigen Gewissheit, dass der gefährliche Vorwurf an dieser einen Stelle nicht erhoben wird. Was soll uns das sagen? Ist Antisemitismus erlaubt, sofern er sich gegen die Orthodoxie wendet? Ist er nur verboten, wenn er die tradierte, eine der Widerlegung durch Auschwitz  entzogene Religion (sei es die jüdische oder die christliche) – verteidigt? Nicht nur unter diesen Umständen müsste es zu einem neuen Bündnis kommen und ein christlicher Antisemitismus der Vergangenheit angehören, jedenfalls eine Feindschaft rechtgläubiger Christen gegen rechtgläubige Juden.

In einer sehr dichten phänomenologischen Betrachtung beschreibt der Germanist und Schriftsteller Claudio Magris den Weg »Von der Manie zur Utopie« (ebenfalls in dem bereits zitierten neuen Heft der Zeitschrift Sinn und Form, S. 433–436). Er schreibt unter anderem: »Die Monomanie ist auch mit der Acedia, der Trägheit, verwandt, dem Dämon des Mittags, den Evagrius Ponticus bereits im 4. Jahrhundert als große Gefahr für die Mönche bezeichnete: einem geheimnisvollen Übel, das alle Taten des Christenmenschen aushöhlt und ihres Sinns beraubt. Dieses geheimnisvolle Übel bedroht aber nicht nur Christen, sondern alle Menschen; die Acedia ist eine selbstgefällige und selbstquälerische Melancholie, eine Traurigkeit, die das Leben um jeglichen Sinn und jegliches Begehren bringt, ein Nichtsmachenwollen [Anmerkung des Bloggers: ein Am-besten-gar-nicht-mehr-Sein], das dazu führt, die Zeit mit Unsinn totzuschlagen und sich den Kopf über Nichtigkeiten zu zerbrechen, eine Trägheit, die nicht nur den Glauben der Mönche, sondern das ganze Leben vergiftet und über die Jahrhunderte, mit fortschreitender Säkularisierung und Psychologisierung, zur Langeweile, zum Spleen wird, zum ennui, der Baudelaire zufolge innig mit der modernen Poesie verbunden ist. Es handelt sich um eine dumpfe, schläfrige und – Giorgio Agamben zufolge – erotisch aufgeladene Trägheit, eine blutleere Erotik allerdings; das Ich wohnt genußvoll dem eigenen Untergang bei [dem Am-besten-gar-nicht-mehr-Sein], wie unter dem Einfluß einer Droge oder der schwarzen Galle der Melancholie. Die grundlose Traurigkeit hindert den Betroffenen daran, die Möglichkeiten des Lebens zu ergreifen, ihre Gefährlichkeit rührt von ihrer Verbindung mit morbider Schönheit und ihrer unmittelbaren Nähe zur Verzweiflung her, der resignierten Anerkennung der Tatsache, daß alle Wünsche unerfüllbar und alle Ziele unerreichbar sind.« Von hier aus schreitet Magris zu der Beobachtung fort, dass sich die Monomanie mit der Utopie gern zu einer Obsession, ja zu einem Größenwahn verbinde, und damit sind wir bei dem Thema des britischen Politologen Kenneth Minogue, der in der wachsenden Unfähigkeit zu persönlicher Verantwortung die Kehrseite politisch korrekter Weltrettungsphantasien erkannt hat. Leider ringt sich Magris aber nicht zu dieser Konsequenz durch: »Weitermachen, sich ironisch und selbstironisch und auch mit manischer [!] Besessenheit um die Verbesserung der Welt bemühen: Das wäre tatsächlich eine wunderbare Obssession.« Magris setzt an die Stelle der bekannten katastrophalen Utopieverwirklichungen nur eine geläuterte, privatmoralische Form der Utopiepflege, einen braven, aber keineswegs frommen Glauben. Zwischen Diesseits und Jenseits will Magris nicht trennen. Aber nur diese Trennung hilft uns zu tun, was wir können, und zu lassen, was wir nicht können. Auf den Wert der Transzendenz aber zielt auch der nun folgende, dritte Splitter.

Zum Thema Verantwortung und Politik würde Norbert Bolz würde sagen: »Man muss nicht mehr erwachsen werden, man wird emanzipiert.« Dazu fällt mir meine Taxifahrt ein, vorvorgestern in Frankfurt am Main. Der Taxifahrer war gebürtiger Türke. Ohne dass ich das Thema angeschnitten hätte, wollte er von mir wissen, was ich von der Homo-Ehe halte. Als ich ihm sagte, dass ich sie ablehne, wunderte er sich. Nicht, weil er sie befürwortet hätte, sondern weil seine anderen Fahrgäste sie alle befürworten. Er sagte mehrfach »alle« … In der Homo-Ehe kriegt man die Kinder, also die Familie, vom Staat: Emanzipation anstelle von Erwachsenwerden. Offenbar gefällt das auch immer mehr Leuten, die sich ihre Kinder durchaus selbermachen könnten. Das entsprechende Zitat über die Emanzipation stammt übrigens aus Norbert Bolz’ rasantem Aufsatz »Freimut« (in seinem auch sonst höchst lesenswerten Sammelband Wer hat  Angst vor der Philosophie?). Erwachsenwerden musste das Individuum noch auf eigene Rechnung, Emanzipation dagegen ist eine Leistung der Gesellschaft auf Kosten aller (minus denen, die sich emanzipieren lassen).[1] In »Freimut« geht es um eine von den Forderungen der politischen Korrektheit in Schach gehaltene Medien- und Geisteswelt. Ihr Druck nährt die Angst aller. Der sakramentale Begriff der Wahrheit bleibt auf der Strecke, wenn jeder ernsthafte Widerspruch mit Ausgrenzung, Schauprozessen und sozialem Tod beantwortet wird. Damit sind nicht die Pausenclownerien angeblicher Querdenker gemeint, die die Rolle des Häretikers travestieren, »persönlich frech, aber geistig servil«, und auch nicht  »die Schauspieler des Nonkonformismus auf der Bühne des Konformismus«. In Gefahr bringt sich, wer noch das Offensichtliche benennt. Insbesondere die geisteswissenschaftlichen Fakultäten degenerieren zu »Treibhäusern der Weltfremdheit«. Die Lüge wird zum massenhaft nachgefragten Glaubensartikel, denn die Demütigung der Massen macht erst dort so richtig Spaß, wo jeder die Lüge durchschaut, wo also jeder nicht nur bewusste, sondern auch »gefühlte« Demütigung erfährt: »Je besser die Massenmedien die öffentliche Meinung organisieren, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich die meisten Menschen in ihrem Urteil über die Meinung der meisten Menschen irren. (…) Öffentliche Meinung ist also nicht das, was die Leute meinen, sondern das, was die Leute meinen ›was die Leute meinen‹.« Soviel zu meiner Frankfurter Taxifahrt.

Dem Aufsatz von Norbert Bolz verdanke ich auch das Schlusswort zu diesen Splittern: »Der freie Geiste verletzt [mit Charisma und Askese] nicht nur das Tabu der Exzellenz sondern auch das Tabu der Transzendenz. Sein Mut zur Wahrheit sprengt den Funktionalismus, die ausweglose Immanenz der sozialen Systeme. Und wenn man sieht, wie die ›Weltgesellschaft‹ jedes Wort des Widerstands, jede Geste des Protests mühelos ins eigene Funktionieren einbaut, muss man zu dem Schluss kommen: Transzendenz ist heute der einzige subversive Begriff. Die konkrete Utopie jedes Außenseiters ist der systematische Paradigmenwechsel.«


[1] Gerhard Schmidtchen bringt dies auf die Formel: »Ich habe Bedürfnisse, also bin ich«: »Hier haben wir also den Schlüssel, warum wachsende Autonomie mit sinkender Moral einhergeht, warum sich Personen jenseits eines verbindlichen moralischen Konsens vergegenständlichen wollen. Sie rufen nach Moral wie nach einer konsumierbaren Leistung der Institutionen. Es gibt so etwas wie eine lamentöse Moralsehnsucht, aber niemand will eine Einzahlung in diese Kasse machen.« (Gerhard Schmidtchen: »Religiös-emotionale Bewegungen in der Informationsgesellschaft«, in: Glaube und Weltverantwortung, hrsg. von G. Baadte und A. Rauscher, Graz u.a. 1988, S. 135. – Zit. nach Lothar Roos: »Kultur und Krise Europas«, in: Die Neue Ordnung, 67. Jg., Heft 2/2013, S. 98–106.)

 

Schluss mit Vater und Mutter

Von Monette VACQUIN und Jean-Pierre WINTER

Homo-Ehe und Adoptionsrecht für Homosexuelle sind das Symptom einer tiefen Krise. Der totalitäre Angriff auf das Leben, auf unsere Werte und Institutionen geht über die Forderungen weit hinaus. Die Flucht nach vorn findet kein Ende. D.E.d.E. dokumentiert eine weitere Stimme der vielfältigen französischen Debatte.

Vorbemerkung von Andreas Lombard

In diesen Tagen meint die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« im französischen Widerstand gegen die Homo-Ehe eine »neue Allianz« zu erkennen, in der sich »alte Reaktion und neuer rechter Nihilismus« zur »Ablehnung der Moderne und der Rationalität« vereinten. Nils Minkmar,  Leiter des Feuilletons, bezeichnet es als einen »Grund zur Sorge«, dass sich das »ländlich-katholische Frankreich der Handwerker, kleinen Selbstständigen und Notablen mit seiner gemütlichen, aber tendenziell intoleranten bis bornierten [!] Weltanschauung« der Homo-Ehe verschließt. Im Rahmen einer Großdemonstration mit hunderttausenden Teilnehmern genügen ihm ein paar hundert randalierender Jugendlicher und 36 Leichtverletzte, um »Auswüchse von Gewalt« zu beklagen. Es gehe doch nur um »bekennende Homosexuelle« und um »eine gesetzliche Regelung der Krankenversicherung«, die aus Sicht ihrer Gegner »in den Stalinismus« führe. Minkmar erklärt den »Angriff auf die Ausweitung des Rechts, die Ehe zu schließen«, schlicht für »unlogisch«.

In seinem Beitrag zu den französischen Ereignissen wird einfach nur die neueste ideologische Trommel gerührt: »Wo das angelsächsische System die checks and balances kennt, in Deutschland die Kunst des politischen Kompromisses hoch gehalten wird, ist in Frankreich der Ort der politischen Konsensfindung die Straße. Die Seite, die nicht regiert, legt beim ersten passenden Anlass das Land so lange lahm, bis die Zentrale nachgibt.« Die böse Tante Ideologie wohnt natürlich auf der Seite der angeblichen neuen radikalen Rechten – und nicht etwa bei der aggressiven Gleichstellungspolitik. Man könnte meinen, schon würde ganz Frankreich im Chaos versinken, es wäre der Präsident im Laufe seines Fluchtversuchs verhaftet worden und die Hauptstadt radikalen Katholiken in die Hände gefallen, die nun damit begonnen hätten, die Hälse homosexueller Bürger unter die Guillotine zu schieben. Wo war Herr Minkmar am vergangenen Sonntag? Auf einer Zeitreise?

Dass Homosexualität vorkommt, dass es sie gibt, begründet kein Werturteil, übrigens auch kein negatives. Die Sache ist ganz einfach. In der Geschichte wurde Homosexualität immer dann gefördert, wenn es kein politisch-gesellschaftliches Interesse an Nachwuchs gab bzw. ein ausdrückliches Interesse an möglichst wenig Nachwuchs (vgl. Hans Kelsen, »Die platonische Liebe«, in: Aufsätze zur Idelogiekritik, Neuwied und Berlin [Luchterhand], 1964, S. 117–197).

In Frankreich – und nicht nur dort – sind übrigens viele Homosexuelle gegen das neue Gesetz und lehnen die »Anerkennung« oder Gleichstellung von Homosexualität mit Bedacht ab. Auch Homosexuelle sind mitunter in der Lage, die gerade von ihnen vielleicht schmerzlich vermisste Weitergabe des Lebens höher zu bewerten als Homosexuellenrechte. Auch sie sind in der Lage, jenem generativen Zusammenhang die Ehre zu geben, dem sie ihr eigenes Dasein verdanken.

Nicht einmal die Annahme einer allgemeinen bisexuellen Veranlagung des Menschen spräche dagegen. Es gibt im Leben nicht nur den Zwang, sondern auch die freie Entscheidung, sich hier und da gegen sich selbst zu stellen. Denn nicht alles, was uns unsere Wünsche, Impulse und Bedürfnisse einreden, ist auch gut für uns. Wenn es anders wäre, wäre das Leben so einfach wie das der Tiere, die sich fast immer auf ihre Instinkte verlassen können. Wir Menschen können das nicht, und deshalb haben wir Kultur, die von Grenzen, Unterschieden und Werturteilen lebt.

Aber nun darf in der Verachtung französisch-reaktionärer Zustände sogar der nationale Gegensatz wieder auferstehen: Frankreich als das Land des Straßenpöbels, Deutschland als der Hort gesitteter Streitkultur. Das stimmt nur leider nicht, wie der nachfolgende Artikel aus der keineswegs rechten, sondern liberalen Zeitschrift Le Débat illustriert, die bestimmt auch Herr Minkmar kennt. Eher verhält es sich umgekehrt: In Deutschland wird jedes Gegenargument von vornherein unterdrückt, der gutmenschliche Totalitarismus dominiert die Szene, in Frankreich aber wird noch lebendige Streitkultur pflegt.

Die Autoren Monette Vacquin und Jean-Pierre Winter arbeiten als Psychoanalytiker. Sie haben zu Fragen von Genetik und Fortpflanzung sowie zur gleichgeschlechtlichen Elternschaft publiziert. Ihre hier in leicht gekürzter Form übersetzten Überlegungen anlässlich der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Frankreich erschienen dort unter dem Originaltitel »Pour en finir avec père et mère« in: Le Débat 174, März/April 2013, S. 84–89. – Wir danken den Autoren für die freundlich erteilte Genehmigung, hier die deutsche Fassung ihres Aufsatzes zu veröffentlichen.

 

Schluss mit Vater und Mutter

Vater und Mutter sind noch ein letztes Mal davongekommen. Nur knapp sind sie vor kurzem bei der Verabschiedung des Gesetzes zur »Homo-Ehe« ihrer völligen Streichung aus den Gesetzbüchern entgangen. Auch in anderen westlichen Ländern fallen die beiden zunehmend unangenehm auf. Verdichten sich in ihnen doch alle Unterscheidungen, geschlechtliche ebenso wie generationelle. Damit stehen sie in der akuten Gefahr, aus den rechtlichen Kodifikationen unseres Lebens ausradiert zu werden. Welch ein zivilisatorischer Fortschritt! Jahrtausende verbrachte man damit, sich mit den zwei Störenfrieden auseinanderzusetzen. Offenbar rufen Vater und Mutter beim Menschen seit jeher eine unausweichliche Ambivalenz hervor. Selbst die großen religiösen Texte geboten ja, die beiden zu ehren, nicht zu lieben. Die Zeitenwende, die 1968 mit dem »Verbot zu verbieten« eingeläutet wurde, brauchte indes weniger als ein halbes Jahrhundert, um die beiden Repräsentanten des »Zwangs« zu neutralisieren.

Nun geht es darum, die Verderber ungehemmten Amüsements gänzlich zu vernichten. Mit dem ideologischen Kehrbesen werden jahrhundertealte Gewohnheiten hinweggefegt und die Begriffe beseitigt, die diejenigen bezeichnen, denen wir die Weitergabe des Lebens verdanken. Es ist anzunehmen, dass die verbreitete Zustimmung hierzu ihren Grund in archaischen Ambivalenzen hat, die die Realisierung eines solchen Vorhabens überhaupt erst ermöglichen. Dieses vielsagende Symptom bedarf unserer näheren Betrachtung.

Der Versuch der Beseitigung von Mutter und Vater besitzt ein explosives Potential. Dieses rührt nicht nur von den Bemühungen einer Minderheit der Homosexuellen, die das Recht auf Eheschließung fordern und die damit selbst nur Symptome einer tieferreichenden Krise sind. Es zeigt sich vielmehr im kollektiven Echo auf das inhärente Angebot, die Weitergabe von Leben, Institutionen und Werten zu verweigern. Andernfalls wäre die Forderung allenfalls belächelt oder übergangen, nicht aber mit dieser erstaunlich breiten Zustimmung und Zufriedenheit aufgenommen worden.

Der Vorgang wird freilich von einer winzigen Minderheit gesteuert. Sie bedient sich einer politisch-korrekten Sprache, deren Gebrauch mit dem Ende des Denkens gleichzusetzen ist. Weder für Huxley noch für Orwell wäre eine derartige Attacke vorstellbar gewesen. Selbst wenn Orwell schreibt, »durch immer weniger Worte wirkt die Sprache wie bis auf die Knochen abgenagt«, so dachte er doch nicht an eine Beseitigung der Worte »Vater« und »Mutter«. Zwar war ihm klar, dass jede Perversion eine Manipulation der Sprache mit sich bringt und dass jeder Totalitarismus von einer totalen Verneinung begleitet sein müsse, die in der Sprache selbst wuchert. »Die Lüge ist die Wahrheit«, »Der Krieg ist der Frieden«, diese Slogans aus 1984 gehörten zur bewusst herbeigeführten Erosion der Sprache, die diese für die menschlich-zwischenmenschliche Verständigung unbrauchbar machen sollte. Doch niemals ging es in Orwells Werk bis zur äußersten Verneinung, der Leugnung geschlechtlicher Unterschiede. Allerdings kam er der Sache nahe: Seine »Anti-Sex-Liga« kämpft nicht für die sexuelle Freiheit sondern für die Abschaffung der Geschlechtlichkeit – jegliche Differenzen sind totalitärem Denken missliebig.

Auch Huxley ist nicht in den Sinn gekommen, was heute bei uns geschieht. Zwar zeigte er auf, dass das Wort »Eltern« lächerlich gemacht werden würde, weil es aus einer überholten Epoche der »Fortpflanzung durch Lebendgeburten« stamme. Aber seine Vorstellung reichte nicht soweit, dass »Eltern« zu einem »neutralen« Begriff werden könnte, der etwas anderes als einen Mann und eine Frau bezeichnet.

Freud bezeichnete die Verleugnung der Differenz – »ein Mann ist eine Frau« – als eine Verdrängung der »Kastrationsangst«. Dem entspricht in der Psychoanalyse die Weigerung, Unvollständigkeit und Komplementarität zu akzeptieren. Diese Verdrängung erfordert freilich ein kategorisches Bestreiten der Wirklichkeit. Dies geschieht durch weit auswuchernde Allmachtphantasien, gegen die keinerlei äußere Tatbestände mehr ins Feld geführt werden können. Schließlich entsteht hieraus in der psychischen Disposition ein unablässiges, sich abkapselndes Selbstgespräch. Der Irrsinn tritt letztlich als Hass nach außen.

Die öffentlichen Beschwichtigungsreden bemühen sich, das Gewaltpotential einer solchen sprachlichen und mentalen Bereinigung unter die Wahrnehmungsgrenze zu drücken. Bereits seit etwa zehn Jahren fordern Splittergruppen, den Begriff der Elternschaft zu »neutralisieren«. Neutralisieren, das bedeutet, die Geschlechtlichkeit des Männlichen und des Weiblichen zu beseitigen, bedeutet, Geschlechtlichkeit unschädlich zu machen. Die Intention heißt Vatermord. Vater und Mutter müssen sterben, im Namen der neu erfundenen, neutralen »Elternliebe«.

Jenseits der Vorstellungen Orwells liegt auch unsere politisch korrekte Sprache in ihrer »soften«, alltäglichen Variante. Ihr Bezugspunkt sind leicht gekränkte und beleidigte Minderheiten von Minderheiten. Zugegeben, wenn Schwarze zu »Farbigen« oder Blinde zu »Sehbehinderten« werden, ist der Schaden noch gering. Wenn Entlassungen »Sozialpläne« heißen, beginnt man, sich unwohl zu fühlen. Wenn ein »Mohr im Hemd« künftig als »Schokoladenkuchen mit Schlag« bezeichnet werden soll, fragt man sich, ob man träumt. Und wenn die »Ehe«, wie sie bisher verstanden wurde, als »legale Diskriminierung von Bürgern mit nicht-heterosexueller Orientierung« diffamiert wird, macht sich Angst breit. Genau dies geschieht derzeit.

»Politisch korrekt« bedeutet, dass die Sprache aalglatt sein soll, ohne Widerhaken, ohne Schärfe. Es handelt sich um ideologische Glättungsversuche, die bis ins Detail überwacht werden. Sie kaschieren einen geistigen Terrorismus, der direkt in eine Art Ethik der Konfusion führt. Der Kampf für das auf diese Weise neutralisierte »Gute« hinterlässt Schlachtfelder des Hasses und der Unmenschlichkeit. Die Verstümmelung der Sprache wird hinter pathetischen Bekundungen einer Gesellschaft verborgen, die nichts mehr zu empfangen und nichts mehr weiterzugeben weiß, die weder zu denken, noch zu hierarchisieren noch einzuordnen vermag. Am Ende steht eine Gesellschaft, die nur noch Traditionen brechen und Forderungen aufstellen kann – und die das mit einem erschreckenden Aufwand an pseudo-wissenschaftlicher Untermauerung zelebriert. Die Weisheit bricht unter den Schlägen eines solchen »Expertentums« zusammen. Sie wird von der Forderung überrannt, alle menschlichen Bindungen zu verwissenschaftlichen. Die Vernunft flieht vor einer sich als Scharfrichter gebärdenden Rationalität, die Herkommen und Tradierung nicht mehr kennt. Das verursacht allgemeine Paranoia, und die ist bereits weit fortgeschritten.

Die Forderung nach der »Homo-Ehe« hat ganz offensichtlicher Weise weder eine sachliche Berechtigung, noch zielt sie auf eine zu beseitigende Ungerechtigkeit. Sie ist ein zu entzifferndes Symptom. Denn was bedeutet die Gleichzeitigkeit der Forderung nach Anerkennung einer Differenz und dem gewaltsamen Bestreben ihrer Aufhebung? Was bedeutet die Forderung nach »symbolischem Gehalt« der Gesetzgebung, während zugleich aller Inhalt nivelliert wird? Was bedeutet die Besessenheit, mit der der Bruch mit allem Überkommenen gesucht wird? Was bedeuten schließlich die bemerkenswerten Veränderungen in den Forderungen aus dem homosexuellen Milieu – gestern nach dem Recht auf eine »andere« Sexualität, heute nach den Attributen der »alten« Sexualität: Familie und Kindern? Wozu diese Parodie der alten Ehe, die ansonsten langsam aus der Mode zu kommen schien? Um ihr den Gnadenstoß zu geben? Oder weil ihr Platz nicht leer bleiben darf? Und dies alles vor dem Hintergrund des erstaunlichen Desinteresses der Homosexuellen an der noch vor kurzem so vehement geforderten eingetragenen Partnerschaft (»Pacs«). In allen Bereichen fordern Gleichstellungsfanatiker heute die Parität von Männern und Frauen. Der Geschlechtsunterschied wird so massiv politisiert wie nie zuvor in der europäischen Geschichte. Und ausgerechnet bei der Ehe und bei Eltern soll er keine Rolle mehr spielen?

Angesichts großer – und realer – nationaler und globaler Probleme sollte es eigentlich erstaunen, dass sich das politische und mediale Interesse in einem solchen Ausmaß von der Frage der »Homo-Ehe« absorbieren lässt. Aber auch Präsidenten, Politiker und Medienleute können offensichtlich beherrscht werden von der Ambivalenz gegenüber allem Herkommen, gegenüber allem, was sich »wissenschaftlichen« Beweisen entzieht, gegenüber allem, was noch eine »Grenze« des Humanen aufzeigt. Allerdings ist zu bedenken: Die kindliche Ambivalenz gegenüber »Papa/Mama« wiederholt sich in der Achtung des Bürgers vor den öffentlichen Institutionen, vor der staatlichen Gewalt. Auf einmal wird deutlich, dass uns das Ende von Vater und Mutter auf noch schlimmere Abwege führen könnte …

Die Identifikation der Politiker mit diesen Zielen ist als solche rätselhaft. Im Kern soll eine jahrhundertelang fraglos hingenommene Gewohnheit beseitigt werden, die im hergebrachten Begriff der Ehe immer die Vereinigung von Mann und Frau sah. Noch nie wurde daran gezweifelt – bei aller Vielfalt der Ehe in den verschiedenen Kulturen! Andererseits erfordert dieser Umbau die unhinterfragte Unterwerfung unter eine Minderheit von Aktivisten, die keinesfalls von allen Homosexuellen unterstützt wird, die aber die Deutungshoheit mittels einer Sprache des ideologischen Egalitarismus und der Entdifferenzierung errungen hat und so in wirksamer Weise mit dem Vorwurf der »Homophobie« den Verzicht auf das Denken erpressen kann.

Auch scheint unsere Gesellschaft, der ihre Grundlagen und festen Bezugspunkte vollends abhanden gekommen sind, die überkommenen und ihr unverständlich gewordenen Institutionen insgesamt behandeln zu wollen wie ein Kind, das ein Spielzeug zerbricht, um seine Funktionsweise zu verstehen. Zerstören kann eine barbarische Art des Fragens sein. Und in der Tat ist uns in der westlichen Welt im Bereich der Sexualität und der Weitergabe des Lebens in rasch aufeinanderfolgenden Etappen alles radikal fraglich geworden: In den 1970er Jahren: Wie funktioniert Sexualität ohne Zeugung von Kindern? In den 1980er Jahren: Wie erzeugt man Kinder ohne Sexualität? Und heute: Wie bekommt man Kinder ohne Geschlechtsdifferenz der Eltern?

Zwei Männer oder zwei Frauen als »Mann und Frau« im Sinne der Ehe zu behandeln, bedeutet schließlich auch, die fundamentale Verknüpfung von Worten an Körper aufzulösen, die Bedeutungen von den Dingen zu trennen, auf dass sie wie freie Elektronen durch virtuelle Welten fliegen. Im Namen einer anti-ontologischen Gleichheit sollen alle zur kollektiven Regression verpflichtet werden, zu einem Dasein als Neutra. Dabei ist die menschliche Welt alles andere als neutral – sie ist nichts anderes als die Welt der in ihr vorhandenen Dinge. Der unheilvolle Neutralitätsgedanke geht mit einer verfälschenden Vorstellung von Objektivität einher.

Bei all dem wäre daran zu erinnern, dass es nicht die Aufgabe des Staates sein kann, auf Provokationen ideologischer Aktivisten einzugehen, die eine konfuse Sprache sprechen und auf jeglichen Widerspruch mit dem Terror ihrer »korrekten« Sophismen reagieren. Noch weniger ist es Aufgabe des Staates, dergleichen Provokationen institutionelle Formen zu geben. Wenn so etwas geschieht, dann wird die Verdrängung zum bürgerlichen Gesetz – und dies mit unabsehbaren psychischen Folgen für alle. Homophobie zu bekämpfen ist eine Sache. Rechtsformen für die Partnerschaften zwischen Homosexuellen, die dies wünschen, zu institutionalisieren eine weitere.

Funktionierende Institutionen aber auszuhöhlen und zu entwerten, ist etwas völlig anderes. Genau das ist das Problem der »Homo-Ehe«: Ein legitimes Anliegen verbindet sich mit einer antizivilisatorischen Attacke auf unsere Institutionen. Das wird zwangsläufig archaische Kräfte wecken. Die Gegner eines solchen Unternehmens sind keinesfalls homophob, sie sind weder Moralapostel noch Fanatiker der »Normalität«. Wenn sich etwa zahlreiche französische Bürgermeister bei ihrer Weigerung, eine Homo-Ehe zu schließen, auf das Gewissen berufen, dann steht dahinter vielmehr ein sicheres Gespür für den Angriff auf die öffentlichen Institutionen. Und sie versuchen, sich einem double bind zu entziehen.

Dennoch glaubt man offenbar, gleichzeitig Transparenz und Gerechtigkeit anrufen und offensichtliche Lügen in die Gesetzbücher schreiben zu können. Wie soll man diese Kröten schlucken? Einmal mehr durch eine Vergewaltigung der Sprache: »Vater« und »Mutter« werden aus den Gesetzen getilgt, das Fräulein [»Mademoiselle«] wird verboten, alle Funktionen – wie »Autofahrer« zu »Autofahrerinnen« – werden feminisiert. Demnächst wird die angeblich diskriminierende »Ecole maternelle« [fr. für Kindergarten] umbenannt. Wir befinden uns hier auf dem bevorzugten ideologischen Schlachtfeld. Das Ziel lautet in der unklaren Formulierung eines bekannten zeitgenössischen Intellektuellen, die Welt nicht mehr »nach dem Unterschied der Geschlechter zu organisieren«.

Das akademische Fundament hierfür sollen die gender studies liefern. Sie wiederholen teils, was seit der Antike schon bekannt war, nämlich das mögliche Vorhandensein weiblicher Züge beim männlichen Geschlecht und männlicher Züge beim weiblichen Geschlecht. Die umfassende Verneinung der Differenz sollen sie wissenschaftlich untermauern und mit einer Pseudobürgschaft versehen. Aber, ganz gleich, welche bisexuellen psychischen Dispositionen es auch immer geben mag, der Unterschied der Geschlechter bleibt. Nur mit Hilfe dieser Voraussetzung kann man alle möglichen Überschreitungen überhaupt feststellen. Er bliebe besser Gegenstand von Literatur und Film, als dass er in die Hände von Politikern fiele, die ihn mit einer modernistischen Mischung aus Toleranz und archaischem Selbsthass zu beseitigen suchen.

Sicherlich kann es befreiende Formen geben, überkommene Grenzen zu übertreten. Andere Grenzverletzungen aber wirken wie eine Injektion tödlichen Giftes. Das sind jene, die – in der Regel im Namen der Egalität – auf eine wachsende Entdifferenzierung zielen. Solche Überschreitungen, die das »Andere« auf das »Gleiche« zurückführen wollen, zerstören das langsame Voranschreiten jeglicher zivilisierender Unterscheidung. An dieser Arbeit wirkte bisher auch das Recht maßgeblich mit. Künftig wird es zur Konfusion beitragen. Huxley erwähnte die »mühsam durch Zivilisierung errungenen Hemmungen«. Ziel dieses Prozesses ist nichts anderes als der Schutz des menschlichen Individuums vor der immer neuen Versuchung, als einzelner schon ein in sich geschlossenes Ganzes sein zu wollen.

Und was die Kinder betrifft: Natürlich sind Homosexuelle in der Lage, Kinder zu erziehen. Viele tun es auch. Es ist völlig unnötig, aus Kindern Objekte ideologischer Forderungen oder gerichtlicher Klagen zu machen. Die Absurdität, homosexuellen Paaren staatlicherseits künstliche Befruchtung zu ermöglichen – zwangsläufig verbunden mit Leihmutterschaften – zeigt hingegen, dass die derzeitigen Bestrebungen rein gar nichts mit den realen Bedürfnissen realer Kinder zu tun haben.

Unsere Generation zerstört alles, was Grenzen setzt. Sie wird somit nichts mehr an die Nachkommenden weitergeben können, vor allem nicht jenen teils unergründlichen Gehalt unserer Zivilisation, der innerhalb jener Grenzen liegt. Was passiert, wenn diese Generation in den Augen der Nachfolgenden demnächst für altmodisch befunden wird? Die Flucht nach vorn wird kein Ende finden. Wissenschaftler arbeiten schon an der Herstellung männlicher Eizellen und weiblicher Spermazoiden aus Stammzellen. Das leibliche Kind homosexueller Eltern taucht als Gespenst am Horizont bereits auf. Dem werden mit scheinbar zwingender Logik weitere Forderungen folgen: »Die Homo-Ehe hat ihnen gut gefallen? Dann ist der künstliche Uterus sicher auch was für sie …!«

Schrieb Descartes nicht, der gesunde Menschenverstand sei die am weitesten verbreitete Sache der Welt? Ließ Shakespeare seinen Macbeth nicht sagen, nichts sei zu fürchten von dem, der aus dem Weibe geboren sei? Übrigens – auch das Wort »geboren« wird verschwinden müssen. »Geburt« verweist auf Ursprung, auf Weitergabe, ist Metapher für Aufbruch, Wachstum, Zukunft. Den Platz werden »Sohn« und »Tochter« – und zwar als rein administrative Zuschreibungen – einnehmen.

Wir müssen den Bürgern, die von einer derart verlogenen Sprache betäubt und von angeblichen Experten betrogen werden, die archaische Gewalt bewusst machen, die in der Beseitigung von Mutter, Vater und Geburt liegt. Zwischen Homosexuellen und Heterosexuellen scheint sich heute eine rigide Trennung aufzubauen. Dabei teilen alle dieselbe Welt. Ebenso obliegt es allen, zutiefst menschliche Institutionen wie die Ehe zu schützen, die den Verbindungen zwischen Männern und Frauen und zwischen den Generationen eine unverzichtbare Form geben. »Institution« kommt von »status«, von »sich aufrecht halten«. Diese Vertikalität ist die Metapher der menschlichen Würde, sie impliziert Verbindungen, die nur unter »Gleichen« nicht mehr bestehen.

Paul Valéry schrieb in seiner »Rede über den Fortschritt«: »Die neue Zeit wird bald einen Menschen schaffen, der durch keinerlei geistige Gewohnheit mehr mit der Vergangenheit verbunden ist. Die Geschichte wird ihm als eine Sammlung sonderbarer, nahezu unverständlicher Geschichten erscheinen, denn in seiner eigenen Gegenwart orientiert sich nichts mehr an vergangenen Vorbildern, überlebt nichts aus der Vergangenheit.« Zwar sind anthropologische Grenzen nicht so gut zu sehen wie eine Fahrbahnbegrenzung auf der Autobahn. Gleichwohl sind symbolische Grenzüberschreitungen leicht an den Schmerzen zu erkennen, die sie denen verursachen, die ihre Ohnmacht und die Wirkungslosigkeit aller Argumente gegen die sich breitmachenden Perversionen empfinden. Und sie sind an der Ausgelassenheit zu erkennen, die sie bei der Masse hervorrufen, die sich in ihrem Triumph über das Naturgemäße sowie in einem Gefühl der Allmächtigkeit suhlt.

Indes wird kein Gott hinter den Wolken hervortreten und Blitze seines Zorns auf die Erde schleudern. Zwar mögen sich unsere Vorväter im Grabe herumdrehen. Doch gilt, was bereits Freud erkannte: Dass, wer auch immer der Menschheit die Befreiung von jenen Aufgaben verhieße, die ihr die Geschlechtlichkeit auferlegt, als ein Held gefeiert würde, dem man jede noch so große Dummheit nachsieht. Die Welt wird auf die Neutralisierung der Geschlechtlichkeit und auf die Aufhebung von Herkunft vermutlich am Ende mit Indifferenz blicken. Das Neutralitätsprinzip zersetzt letztlich jeden inhaltlich begründeten Widerstand.

Selbstbestimmungsschaum

Sterbehilfe, Homo-Ehe und die »ungeborene« Zukunft

Wutschnaubend kommentiert ein Zuhörer meiner Lesung in Marburg namens Hans S. meine dort vorgebrachten Überlegungen. Ich hatte zum Thema Sterbehilfe gesprochen und aus unserem diesbezüglichen Buch vorgelesen. Hans S., der jetzt auf amazon seinem Ärger Luft macht, hat in Marburg leider nichts gesagt. Umso energischer reiht er sich in jene ein, die mir wegen meiner kritischen Haltung zur Sterbehilfe wahlweise Bevormundung oder Propaganda vorwerfen. Der Besucher, der in Marburg schwieg, als er mit mir hätte reden können, wirft mir vor, meine Moralvorstellungen gegen den Sterbewilligen »erzwingen« zu wollen.

Außerdem, sagt Hans S., wolle ich kraft meiner gesunden Seele (danke!) der kranken Seele, der niemand mehr helfen kann (woher weiß er das?), ihre Autonomie absprechen. Erstens: Ich habe noch nie die Gültigkeit meiner Moralvorstellungen gegen einen Sterbewilligen erzwungen, und das werde ich hoffentlich auch nie tun. Zweitens: Eine kranke Seele ist nicht autonom, sondern hilfsbedürftig. Drittens: Warum ist die Behauptung, dass der kranken Seele nicht mehr zu helfen sei, weniger anmaßend als meine Bitte an den Sterbewilligen und vor allem an seine Nächsten, die Hoffnung nicht aufzugeben? – Einem gewissen Kater Felix danke ich für seinen Kommentar: »Dem Selbstbestimmungsschaum vor dem Mund des Herrn Hans S. nach zu urteilen ist er selbst jedenfalls nicht suizidgefährdet. Suizid ist immer etwas für die Anderen. Wir sind ja so liberal.«

Bei »Selbstbestimmungsschaum« fällt mir der offene Brief an den Deutschen Bundestag mit der Forderung nach einer vollen Gleichstellung der Homo-Ehe ein, der den Abgeordneten in der vorigen Woche zugestellt wurde, unterzeichnet unter anderem von Martin Walser und Günter Grass: »Stellt gleich, was gleich ist!« In diesem sprachlich unglaublich misslungenen Brief, der sich wie eine unbeholfene deutsche Übersetzung aus mindestens drei verschiedenen Sprachen unter Verwendung einer pathetischen Gründungsurkunde aus dem 18. Jahrhundert liest, heißt es: »Wenn zwei Menschen egal welchen Geschlechts sich füreinander entscheiden und Verantwortung für sich, die Gesellschaft und die geborene als auch ungeborene Zukunft übernehmen wollen, dann ist dies zutiefst schützenswert.«

Es reicht also künftig, wenn ein Homosexueller »Verantwortung« für die Folgenlosigkeit seiner Sexualität übernimmt, um Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Ich finde, Verantwortung für die Folgenlosigkeit der eigenen Sexualität zu übernehmen, hieße, der Kinderlosigkeit ins Auge zu sehen und gerade nicht einfach mal ein Recht auf Kinder auszurufen. Vor allem hieße es nicht, das Auge auf die Kinder anderer Leute zu werfen. Und dann die »ungeborene« Zukunft. Was für eine Zukunft soll das eigentlich sein? Und warum heißt es bei »geborener Zukunft« nicht einfach »Kinder«? Weil »geborene Zukunft« pathetisch und gemeinnützig klingt, während das Wort »Kinder« bloß an lautes Schreien und schmutzige Windeln erinnert und an das, was eine Dame vom Deutschlandradio sich heute früh nicht entblödete zu sagen: dass sie doch so teuer sind? Das sagte sie in einer Sendung über die Unsicherheit unserer Altersversorgung. So viel Schizophrenie muss man erst einmal können.

Der Brief an den Bundestag ist ein Dokument ersten Ranges. Die Gleichstellung soll nicht nur im Recht vollzogen werden, sondern vor allem in der Natur. Die rechtliche Gleichstellung ist nur eine vorübergehende Notlösung auf dem prometheischen Weg zum neuen Menschen. Dieser neue Mensch hat Fortpflanzung und Sexualität vollständig getrennt. Liebe, so sagt der offene Brief, ist dasselbe wie Sexualität. Also hat die Fortpflanzung nichts mehr mit Liebe zu tun, und die Liebe nichts mehr mit Fortpflanzung. Deshalb auch »geborene Zukunft« statt »Kinder«. Kinder sind nur noch das Material, aus dem die Zukunft gemacht ist, weil es dummerweise keine andere gibt. Aber vielleicht findet sich auch hier eine Lösung.

Bis auf weiteres, solange wir sie noch brauchen, werden Kinder halt aus dem Labor oder aus dem Bauch einer Leihmutter kommen oder von Eltern, die sich mit ihrer traditionellen, familienorientierten Erziehungsweise des Kindesmissbrauchs schuldig machen und das Sorgerecht verlieren. So ungefähr sieht doch wohl die Hoffnung derer aus, die auf den Umbau eines Adoptionsrecht spekulieren, das früher für elternlose Kinder gedacht war und nun »für« kinderlose, homosexuelle Möchtegern-Eltern dasein soll? Richtige Eltern mit richtigen Kindern müssen diesen Zukunftsstürmern »zutiefst« verdächtig sein, denn sie bleiben Homosexuellen, die unter allen Umständen ihre Gleichheit behauptenn wollen, ein ständiges Ärgernis und eine ständige Demütigung, umso mehr, seit sie ihr beneidetes Teilvorbild überholen, ohne es einzuholen. Das Unglück Hans Christian Andersens beschrieb Hans Mayer als das Unglück »des Schwans im Ententeich, der jedoch im Ententeich zu leben hat, wo man Schwäne nicht als höhere Gattung anerkennt.« (Außenseiter, S. 233) Jetzt gibt es schon Homosexuelle (Schwäne), die die Umarmung von Mann und Frau (Enten) auf offener Straße als Diskriminierung empfinden. So beginnt die schöne, neue Welt. Mit ganz viel Stolz, mit ganz viel Prüderie, aber ohne Zukunft.

Denn der Offene Brief will uns allen Ernstes sagen: Die Weitergabe des Lebens darf nicht länger das Kriterium sein, das die Homosexualität von der normalen Sexualität unterscheidet. Nachwuchslosigkeit darf nicht mehr mit Homosexualität identifiziert werden und Elternschaft nicht mehr mit normaler Sexualität. Damit Homosexuelle für die Folgenlosigkeit ihrer Sexualität nicht diskriminiert werden, müssen geborenes und ungeborenes Leben künftig denselben Wert haben. Leben und Nichtleben müssen denselben Wert haben. Leben und Tod müssen denselben Wert haben. Und weil Leben und Tod denselben Wert haben müssen, kann man die Sterbehilfe als das bessere Leben verkaufen. Aber warum als das bessere? Wie kann der Tod »besser« sein, wenn Leben und Nichtleben sich gar nicht mehr unterscheiden?

Die Diktatur der Konfusion

Wer daran erinnert, was Kinder brauchen, ist noch lange nicht homophob.
Zehn Thesen gegen die Homo-Ehe von Bertrand VERGELY

Vorbemerkung von Andreas Lombard

Wenn zur Zeit darüber berichtet wird, dass die Einführung der Homo-Ehe die Bevölkerung Frankreichs in zwei gleich große Hälften spalte – die eine dafür, die andere dagegen (mit einer geschätzten Million Demonstranten) –, dann könnte der Eindruck entstehen, als ob dies in Deutschland anders wäre. Ich glaube aber, dass auch bei uns mindestens die Hälfte der Bevölkerung gegen die Homo-Ehe ist, wenngleich das weder offiziell festgestellt noch mitgeteilt, sondern von ihren Befürwortern zum Horrorszenario erklärt wird. Unter der Herrschaft des Skandals bleibt der wahre Skandal verborgen. Die Leidtragenden der Homo-Ehe in Verbindung mit einem »Recht auf Kinder« (das es bislang für niemanden gibt!) sind – Kinder. Kinder, denen die gemeinsame Aufzucht durch Vater und Mutter verweigert wird. Gewiss, es gibt Scheidungen, und es gibt Kuckuckskinder. So etwas kommt vor. Das Fehlen eines Elternteils aber planmäßig in die Wege zu leiten, ist ein Verbrechen am Kind, und es wird ihm schwere seelische Schäden zufügen.Die Gegnerschaft wird umso stärker werden, je deutlicher sich diese Folgen zeigen und – je mehr Immigration Europa zulässt. Denn bemerkenswerter Weise haben sich in Frankreich die Vertreter der jüdischen Gemeinde und der Muslime auf die Seite der Gegner des Gesetzes gestellt. Das heißt, dass sich die politischen Kräfteverhältnisse gerade neu formieren. Den Ausgang der letzten Abstimmung in der Nationalversammlung im Rahmen der zweiten Lesung des Gesetzes am Dienstag, dem 23. April, wird die Gegenbewegung zwar kaum zu ihren Gunsten beeinflussen können. Aber der Widerstand insbesondere friedlicher, junger Leute, die sich »Les veilleurs« (Die Wächter) nennen, nimmt zu. Dass es bei dem auch heftigen Widerstand in Frankreich nicht zwingend um die notorisch unterstellte Homosexuellenfeindlichkeit geht und dass sich der Widerstand auf gewichtige naturrechtliche Argumente beruft, um lediglich die Ungerechtigkeiten und Unmenschlichkeiten eines überzogenen Gleichstellungsdenkens anzuprangern, das belegt der folgende Beitrag, der seit dem 14. Januar in zahlreichen französischen Internetforen erschienen ist. Sein Autor Bertrand Vergely, geb. 1953, ist französischer Philosoph und Theologe. Er ist Absolvent der »Ecole normal supérieure« von Saint-Cloud. Vergely lehrt am »Institut d’Etudes politiques«, am »Institut de théologie orthodoxe Saint-Serge« und am »Lycée Pothier«. Wir danken dem Autor für die freundlich erteilte Genehmigung, seinen Text auf D.E.d.E. zu publizieren.

 

Die Diktatur der Konfusion

1.
Es kommt darauf an, zwischen der Frage der Homosexualität und der Frage der sogenannten Homo-Ehe zu unterscheiden. Homosexualität gehört in die Sphäre des Privaten und Individuellen. Es gibt in der Gesellschaft Menschen, deren Zuneigung sich auf Menschen gleichen Geschlechts bezieht. Warum ist das so? Wir wissen es nicht und werden es wegen der Vielzahl der möglichen Gründe wohl niemals wissen. Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen Tatbestand, den die Gesellschaft anerkennen muss, indem sie den Homosexuellen die gleichen Rechte auf Schutz ihrer Privatsphäre zugesteht wie jedem anderen Bürger.

2.
Im Gegensatz dazu betrifft die Einführung der Homo-Ehe alle. Denn hiermit soll eine bislang gültige Norm ein für alle Mal abgelöst und eine neue Norm für Familie, Abstammung und Weitergabe des Lebens etabliert werden.

3.
Die Ehe ist in ihrem Ursprung eine natürliche Gegebenheit. In ihr vereinen sich ein Mann und eine Frau und zeugen gemeinsame Kinder. Indem Gesellschaft und Staat diese Ehe als Institution etablieren, schaffen sie nur einen rechtlichen Rahmen, um jene naturgemäße Grundlage zu schützen.

4.
Es deutet derzeit viel darauf hin, dass Ehe, Abstammung und Weitergabe des Lebens ihre Bedeutung verändern. Die Weitergabe des Lebens soll nicht mehr als der hauptsächliche Sinn der Ehe verstanden werden. Statt der Zeugung von Kindern soll vielmehr das »Gefühl« zu ihrer Grundlage werden. Ebenso scheint auch die Bedeutung eines Kindes nicht mehr vorrangig darin zu liegen, Frucht der Verbindung eines Paares zu sein. Immer öfter kommt es zur »Nachfrage nach Kindern«, etwa als Wunsch nach Adoption durch Einzelstehende oder nach künstlicher Befruchtung von zeugungsunfähigen Paaren. Somit stellt sich eine Frage, die alle betrifft, Hetero- ebenso wie Homosexuelle, nämlich, ob das »Gefühl« die einzige Grundlage der Ehe darstellen soll, und ob der Wunsch nach einem Kind, von wem auch immer geäußert, den einzigen Grund für seine Existenz bilden kann. Anders gefragt, soll das, was in der Lebenspraxis zunehmend um sich greift, zur verbindlichen Norm werden?

Wer dies bejaht, muss sich darüber im Klaren sein, dass dann auch kein formeller Widerspruch etwa gegen eine Aufhebung des Inzestverbotes möglich wäre. Wenn das »Gefühl« unabhängig von allen natürlichen Gegebenheiten normbildend wird, dann wird in seinem Namen ein Vater fordern können, seine Tochter oder gar seinen Sohn; eine Mutter, ihren Sohn oder ihre Tochter; eine Schwester, ihren Bruder oder ihre Schwester; und ein Bruder, seine Schwester oder seinen Bruder heiraten zu dürfen. In einem solchen Fall, wo das Gefühl als Grundlage eines Rechtes jenseits der natürlichen Realität gesetzt wurde, wird bald niemand mehr wissen, wer er im Hinblick auf den anderen ist. Schwerwiegende Identitätskrisen werden die leicht vorhersehbare Folge sein. Die krankhaften Tendenzen eines hedonistischen Individualismus, für den die Realität nicht existiert und nicht mehr existieren darf, werden sich dramatisch verstärken. Wenn der Vater auch Liebhaber der Tochter, die Mutter auch Geliebte des Sohnes sein kann, wird der gängige Begriff der Familie absurd und die erzieherische Autorität der Eltern eliminiert. Die Familie explodiert sozusagen.

Wenn nun aber das Inzestverbot fiele, dann würde das auch die Zukunft des Menschen an sich bedrohen. Denn dieses Verbot erinnert an nichts Geringeres, als dass der Mensch sich selbst durch die Ehe und die Weitergabe des Lebens entfaltet und fortzeugt, nämlich, indem er sich an einen anderen bindet, der eben nicht derselben Familie entstammt und nicht demselben Geschlecht angehört, und dass es eben seine Bestimmung ist, nicht auf seine eigene Familie und sein eigenes Geschlecht beschränkt zu bleiben.

In dieser Perspektive lastet auf dem Gesetzgeber im Fall der Regelungen zur Homo-Ehe eine besonders große Verantwortung. Beschließt er, aus der Ehe eine Rechtsangelegenheit auf der Basis des Gefühls und unabhängig von allen natürlichen Gegebenheiten zu machen, ebnet er dem Ruin der psychischen Identität des Menschen, dem Ruin seiner Familie und seiner Zukunft den Weg.

5.
Jenseits dieser Fragen, die alle betreffen, Hetero- ebenso wie Homosexuelle, wirft die Homo-Ehe eine Reihe weiterer spezifischer Fragen auf, die sehr genau bedacht werden sollten. Die wichtigste ist die nach der Bedeutung des Wortes »gleich«. Ist es möglich, im Namen der Gleichheit und der Antidiskriminierung eine Gleichheit aller Paare zu schaffen? Dem stehen gewichtige Gründe entgegen:

6.
Im Sinne der einfachen Frage nach der Wirklichkeit, nach dem natürlich Gegebenen, kann man Heterosexualität und Homosexualität schwerlich als »gleich« ansehen. Ein Paar aus Mann und Frau ist nicht das Gleiche wie ein Paar aus zwei Männern oder zwei Frauen. Heterosexuelle Paare sind nicht homosexuell, und homosexuelle Paare sind nicht heterosexuell. Hier Gleichheit herstellen zu wollen, bedeutet schlicht, die Wirklichkeit zu negieren und eine große Konfusion zwischen dem Wesen des Menschen und seiner (jeweiligen) Lebenspraxis zu schaffen. Heterosexualität ist, vor aller Lebenspraxis, dem Wesen des Menschen gemäß. Homosexualität wird zwar praktiziert, aber deshalb entspricht sie noch lange nicht dem Wesen des Menschen.[1] Der Grund ist klar: Um homosexuell zu sein, muss man zunächst Mann oder Frau, also Teil der heterosexuell ausgeprägten Natur des Menschen sein. Wenn dieser Unterschied nun im Namen der Gleichheit eingeebnet wird, läuft dies auf ein Diktat der Lebenspraxis über das Wesen des Menschen hinaus. Die gefährliche Folge kann über kurz oder lang die immer radikalere Unterdrückung der für den Menschen wesentlichen geschlechtlichen Differenz sein. Die Homo-Ehe würde also zwangsläufig diktatorische Effekte zeitigen. Um den Homosexuellen gleiche Rechte zuzugestehen, würde es letztlich der Menschheit verboten werden müssen, noch irgendeinen Unterschied zwischen Mann und Frau zu machen. Wer in der Heterosexualität einen Wesenszug und nicht eine bloße Lebenspraxis des Menschen sieht, könnte wegen Diskriminierung verurteilt werden. Im Ergebnis würde dies eine neue Menschheit bedeuten. Bisher lebten wir in einer durch Unterscheidungen geprägten und sich in Unterscheidungen mitteilenden Welt. Was wir dann erleben würden, wäre eine auf »Ununterscheidbarkeit« gegründete Welt. Da die Differenzierung der Wesenszug allen Lebens ist, die Entdifferenzierung aber das Wesen des Todes,[2] bedeutet die Einführung der Homo-Ehe nichts anderes, als dass von nun an das Prinzip des Todes die Menschheit leiten würde.

7.
Die Probleme der gesetzlich dekretierten Gleichheit aller Paare spiegeln sich auch auf der Ebene der Kinder wider. Offenbar droht in Vergessenheit zu geraten, dass ein homosexuelles Paar keine eigenen Kinder haben kann. Das mag man bedauern, aber es ist so – zwei Männer oder zwei Frauen können miteinander kein Kind zeugen. Für die Weitergabe des Lebens bedarf der Mann der Frau und die Frau des Mannes. Gleichwohl fordern die Homosexuellen, »ein Kind haben zu dürfen«. Sie beziehen sich hierbei auf das Recht heterosexueller Paare, ein Kind zu adoptieren oder die Möglichkeiten künstlicher Befruchtung in Anspruch zu nehmen. Dabei scheinen sie zu vergessen oder vergessen machen zu wollen, dass es nicht das Recht, sondern die Natur ist, wodurch ihnen eigene Kinder versagt bleiben. Natürlich kann ein heterosexuelles Paar adoptieren oder eine künstliche Befruchtung vornehmen. Gleichwohl aber wird ein solchermaßen empfangenes Kind niemals dieselbe Bedeutung haben wie ein von Homosexuellen adoptiertes Kind. Denn wenn ein heterosexuelles Paar adoptiert, so gleicht es hiermit ein individuelles Unfruchtbarkeitsproblem aus. Wenn hingegen ein homosexuelles Paar adoptiert, so versucht es, eine grundsätzliche Unmöglichkeit zu umgehen. Die symbolische Bedeutung eines solchen Kindes ist eine andere. Eine Unmöglichkeit mithilfe eines Gesetzes umgehen zu wollen, führt uns in einen Bereich prometheischer Fiktionen jenseits der menschlichen Realität.

8.
Bislang beruht das Verständnis von Gesellschaft auf dem Verständnis ihrer Grenzen, darauf, dass – kurz gesagt – nicht alles möglich ist. Dass nicht alles gesetzlich beschlossen werden kann. Dass nicht alles hergestellt oder gemacht werden kann. Diese Grenzen sind auch schützende Grenzen. Die Einsicht, dass nicht alles gesetzlich beschlossen werden kann, bewahrt uns vor einer Diktatur des Rechts, und der Gedanke, dass nicht alles hergestellt werden kann, vor einer Diktatur der Wissenschaft. Mit der Homo-Ehe und dem Recht homosexueller Paare auf Adoption und künstliche Befruchtung würde sich das ändern. Die Idee, dass nichts unmöglich sei, würde die Bedeutung von Grenzen leugnen. Der Schutz vor einer Diktatur des Rechts würde fallen. Alles würde per Gesetz »umsetzbar« werden. Zugleich würden die Dämme brechen, die uns vor einer Diktatur der Wissenschaft bewahren. Alles würde »machbar« werden. Bislang sind wir der Natur gefolgt, die, wie Montaigne sagte, eine »sanfte Führerin« ist. Von nun an würden wir dem Recht und der Wissenschaft folgen. Die Natur hat es vermieden, den Menschen der Willkür des Menschen zu unterwerfen. Künftig würde der Mensch dem Menschen gehorchen müssen, ohne dass der Mensch als solcher noch irgendwem oder irgendetwas Untertan wäre. In eben jenem anything goes sah Dostojewski im 19. Jahrhundert ebenso wie Leo Strauss im 20. Jahrhundert die Essenz des Nihilismus. Zusammen mit Nietzsche und gleichermaßen illusionslos wie dieser erkannten sie im Nihilismus die verhängnisvolle Heimsuchung Europas. Mit der Homo-Ehe und dem Recht Homosexueller auf Adoption und künstliche Befruchtung würde das anything goes Wirklichkeit werden. Damit würde der Nihilismus siegen – ein Triumph des Rechtes, der Wissenschaft und des entgrenzten Menschen.

9.
Ebenso ist zu unterscheiden zwischen einem Kind, das man herkömmlich zeugt, und einem Kind, das man »machen« lässt. Ein durch ein Paar gezeugtes Kind ist Person. Die Zeugung durch Mann und Frau, die sich in Liebe vereinen, führt dazu, dass dieses Kind keine Ware und kein Handelserzeugnis ist. Ein Kind, das man durch Dritte »machen« lässt, ist keine Person, sondern ein Objekt, eine verhandelbare Ware: Man »leiht« eine Mutter, oder man »spendet« den Samen (gegen Bezahlung). Lionel Jospin hat angemerkt, es gebe kein Recht »auf ein Kind«, sondern vielmehr ein Recht »des Kindes«. Mit der Homo-Ehe, die das Recht auf künstliche Befruchtung einschließt, wird genau dies verdreht und das Recht des Kindes dem Recht auf Kinder geopfert. Unter dem Vorwand, Homosexuellen ein Recht auf Kinder geben zu wollen, wird das Kind von der Person zum Objekt degradiert. Während Menschenrechtsvertreter in aller Welt gegen die Verdinglichung des Menschen kämpfen, wird das Kind im Namen des Rechts der Homosexuellen zum bloßen Objekt.

Daneben gibt es praktische Einwände, vor allem gegen die Kosten. Damit zwei Männer ein Kind bekommen, muss eine Leihmutter engagiert werden. Das ist nicht billig – der Preis liegt zwischen 80.000 und 100.000 Euro. Sobald Homosexuelle mit dem Recht »auf ein Kind« ausgestattet sind, werden sie die Kostenübernahme durch die Sozialversicherungen fordern, was deren Defizite steigern wird. Wer bezahlt also diese Kinder? Falls sie zu einer staatlichen »Leistung« werden, wird der Staat ausreichend Leihmütter bzw. ihre spezifische Fähigkeit als geregelte Dienstleistung zur Verfügung stellen müssen. Auch wenn der Staat sich weigern sollte, zum Zuhälter-Staat zu werden, der Frauenhandel erlaubt und organisiert, wird er doch die Leihmutterschaft regulieren müssen. Das ist alles andere als eine harmlose Angelegenheit. Was passiert, wenn ein Paar mit dem Baby einer Leihmutter unzufrieden ist und es zurückgeben will? Soll man dieses Paar zwingen, das Kind zu behalten? Oder soll man das Kind zur Waise machen? Soll man die Leihmutter dazu zwingen und sie dafür bezahlen, dass sie es behält und aufzieht? Und wer zahlt den Psychiater, den dieses Kind später unweigerlich brauchen wird?

10.
Auf das Problem des »Machen-Lassens« von Kindern folgt das Problem ihrer Erziehung. Es ist ein Unterschied, ob es sich bei den Eltern um Vater und Mutter oder aber um zwei Väter oder zwei Mütter handelt. Einem Kind, das in einer Homo-Ehe aufwächst, wird das Wissen darüber verweigert, wie es ist, Vater und Mutter zu haben. Darf man dem Kind aber dieses Recht nehmen? Wenn ja, dann hieße das, dass die Homosexuellen – damit sie ein gleiches Recht auf Kinder erhalten – ihren Kindern im Unterschied zu den Kindern heterosexueller  Eltern gleiches Recht verweigern dürften. Damit homosexuelle Paare heterosexuellen Paaren gleichgestellt werden, bedarf es einer massiven Ungleichbehandlung der jeweiligen Kinder. Natürlich haben auch Waisen keine Mutter oder keinen Vater. Aber hier handelt es sich um eine Art Unfall, um individuelles Unglück, nicht um die Folge einer rechtlichen Entscheidung. Das Recht von Homo-Paaren auf ein Kind erfordert die bewusste Schaffung von Waisenkindern als gesetzliche Institution. Diese Kinder werden gesetzlich verpflichtet sein, entweder keinen Vater oder keine Mutter zu haben. Eine solche Situation wird früher oder später notwendigerweise Revolten hervorrufen. Dem Kind eines homosexuellen Paares wird das Recht auf seine wahre Abstammung genommen. Seine Herkunft bleibt abwesend. Für die Entwicklung eines Kindes aber ist sie alles andere als verzichtbar. Das Kind wird sich, kindlicher Neigung entsprechend, selbst für das familiäre Ungleichgewicht schuldig fühlen.

Daraus folgt, dass die Anhänger der Homo-Ehe und des Rechts auf Adoption und künstliche Befruchtung Opfer einer fatalen Konfusion sind, wenn sie das geplante Gesetz als einen demokratischen Fortschritt proklamieren. Wer da glaubt, dass all dies ein gutes Ende nähme, wird sich schon bald bitter getäuscht sehen. Es wird ein böses Ende nehmen, denn der Preis ist zu hoch. Niemand sollte glauben, dass die Leugnung sexueller Differenz keine Konsequenzen haben werde. Niemand sollte glauben, dass »gemachte« Kinder, denen man in vielen Fällen das Recht auf die Kenntnis ihrer Abstammung rauben wird, nicht früher oder später dagegen aufbegehren werden. Und niemand sollte glauben, dass das Verbot der Begriffe »Mutter« und »Vater« zu einer menschlicheren und friedfertigeren Gesellschaft führen würde. Wer behauptet, dass durch die gesetzliche Einrichtung der Homo-Ehe Probleme gelöst würden, der lügt. Es werden neue Probleme geschaffen. Das 20. Jahrhundert hat die Tragödien des Totalitarismus durchlebt, vor allem das Projekt der Schaffung eines neuen Menschen aus einer bestimmten Rasse oder Klasse. Wir dürfen jetzt nicht der Versuchung nachgeben, mittels einer eine Diktatur von Recht und Wissenschaft den neuen Menschen aus dem Gleichheitsdenken zu kreieren. Die Familie beruht auf natürlichen Gegebenheiten. Daran sollten wir in unserem eigenen Interesse nicht rühren.

Wir alle haben homosexuelle Freunde und Bekannte, die wir schätzen und respektieren. Wir wollen nicht bezweifeln, dass sie lautere Absichten haben. Auch nicht, dass sie in der Lage wären, ein Kind zu erziehen. Wir zweifeln auch nicht daran, dass Kinder in manchen heterosexuellen Partnerschaften nicht gut behandelt werden. Der fatale Fehler liegt vielmehr darin anzunehmen, dass all dies ein Grund für die Einführung der Homo-Ehe mit Recht auf Adoption und künstliche Befruchtung wäre.

Recht und Gesetz sind eine Sache, der Einzelfall ist eine andere. Das Recht kann sich nicht aus Einzelfällen ableiten, sondern nur aus ganzheitlichen Regeln. Wenn es um die Homo-Ehe geht, so stehen dahinter dermaßen gefährliche Grundannahmen, dass ein solches Gesetz den grundlegenden Interessen des Menschen eindeutig widerspräche. In der Nationalversammlung hat die Linke heute die Mehrheit. Mit ihrer Mehrheit kann die Linke die Homo-Ehe durchsetzen. Sie könnte aber stattdessen auch dem Menschen und seiner Würde zur Mehrheit verhelfen. Das würde sie ehren. Und damit würde sie zugleich ihren eigensten Interessen dienen. Niemand muss einem Zwang gehorchen, wenn er dabei der Vernunft widersprechen soll. Die Homo-Ehe mit ihrer ausschließlichen Basis im »Gefühl« ist wider die Vernunft. Die Preisgabe der Unterscheidung von Mann und Frau oder ihre Reduktion auf bloße Lebenspraxis ist wider die Vernunft. Es ist wider die Vernunft, ein Kind um jeden Preis zu wollen – sei es durch Adoption, Leihmutterschaft oder Samenspende. Und schließlich ist es wider die Vernunft, nicht mehr von Mutter und Vater sprechen zu wollen. – Kurz gesagt, eine juristisch-medizinische Bastelarbeit Familie zu nennen, ist grober Unfug. Die Worte haben ihren Sinn, indem sie auf die Wirklichkeit verweisen. Wenn die Worte nur noch einen Sinn haben sollen, den man ihnen willkürlich zuschreiben kann, haben sie bald gar keinen mehr. Wir befinden uns dann nicht mehr im Bereich der Vernunft, sondern im Bereich der Konfusion. Herrschaft der Konfusion, Diktatur der Konfusion, Konfusion des Denkens und Handelns – müssen wir es wirklich derart übertreiben?



[1] Anmerkung des Übersetzers: Der Gedanke entspricht der bekannten Formulierung Goethes, die Knabenliebe sei »in der Natur, obgleich sie wider die Natur« sei.

[2] Anmerkung des Übersetzers: In ähnlichem Sinne sprach Papst Johannes Paul II. von einer sich in Europa ausbreitenden »Kultur des Todes«.